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Libanesische Verhältnisse am Nil?

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Die Lebensmittelpreise haben sich verdoppelt, Gehälter sind weniger wert: Ägypter haben jetzt die gleichen Probleme wie die Bürger des Libanon. Doch würde sich die Lage in Ägypten verschlimmern, wären die Folgen dramatischer. Von Cathrin Schaer | Für viele Ägypter wird das Einkaufen von Lebensmitteln mittlerweile zur Herausforderung. Seit sich die ägyptische Währung im freien Fall befindet, haben sich die Lebensmittelpreise verdoppelt, die Gehälter sind deutlich weniger wert. "Anstatt drei Kilogramm Reis zu kaufen, wenn wir einkaufen gehen, holen wir nur ein Kilo oder ein halbes Kilo", erklärt Ahmed Hassan, 40. Er ist Buchhalter und dreifacher Familienvater aus dem Kairoer Stadtteil Schoubra. "Wir versuchen, unsere Ausgaben zu reduzieren. Leider können wir nicht alles einschränken, denn unsere Kinder brauchen bestimmte Dinge", sagt er der Deutschen Welle (DW). Die ägyptische Währung hat seit Ende Oktober 2022 rund ein Drittel ihres Wertes verloren. Die Inflation liegt derzeit bei über 20 Prozent. Einige Wirtschaftsexperten vermuten sogar, dass sie in Wirklichkeit noch höher liegt: Sie gehen davon aus, dass die inoffizielle Inflationsrate - die auch den riesigen informellen Wirtschaftssektor Ägyptens mit einschließt - 101 Prozent beträgt. Mittlerweile beschränken die Banken die Höhe der Bargeldabhebungen. Der freie Fall, in dem sich Ägyptens Wirtschaft befindet, hat Ähnlichkeiten mit der katastrophalen Wirtschaftskrise, mit der die Bürger im Libanon seit 2019 zu kämpfen haben. Ähnlichkeiten zwischen Libanon und Ägypten Im Libanon haben einige Bürger die Banken gestürmt, um an ihre eigenen Ersparnisse zu kommen. Ganze Städte sind dunkel, weil der Treibstoff für die Kraftwerke ausgegangen ist. Und die Mittelschicht des Landes verschuldet sich immer weiter. In Ägypten ist das derzeit noch nicht der Fall. Aber angesichts der sich verschlechternden Lage fragen sich einige: Könnte Ägypten bald "der neue Libanon" werden?"Es gibt bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen der inzwischen kläglich gescheiterten Wirtschaft des Libanon und der kämpfenden Wirtschaft Ägyptens", so Robert Springborg, außerordentlicher Professor an der kanadischen Simon Fraser University, in einem Bericht aus dem Jahr 2022 für die in Washington ansässige gemeinnützige Organisation Project on Middle East Democracy (POMED). "Die Folgen des Zusammenbruchs jeglichen Vertrauens im Libanon waren verheerend, aber sie würden bedeutungslos, wenn sich dasselbe im ägyptischen Maßstab wiederholen würden", warnte er. Die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme Ägyptens sind das Ergebnis einer Reihe interner Probleme wie politischer Unruhen, Korruption und Misswirtschaft der Regierung. Doch in jüngster Zeit haben sich auch externe Krisen dazu gesellt: die COVID-19-Pandemie, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die drohende weltweite Rezessionen. It’s now time to ask: - what is the risk of default and how? - what does Lebanon on a scale of 108 million people look like? #Egypt https://t.co/ijibf8ijBL pic.twitter.com/JO5AmbJb0z — Hafsa Halawa (@HafsaHalawa) January 11, 2023   Mehrere Krisen überlagern sich Die Corona-Pandemie hat dem Tourismus, einer der wichtigsten Einnahmequellen des Landes, schwer zugesetzt. Seit in der Ukraine der russische Angriffskrieg tobt, bleiben auch die Weizenlieferungen aus der Ukraine aus. Dabei ist Ägypten der größte Weizenimporteur der Welt. Seit 2014 hat die ägyptische Regierung unter der Führung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi nationale "Megaprojekte" gefördert. Dazu gehört die längste fahrerlose Einschienenbahn der Welt im Wert von umgerechnet 21 Milliarden Euro und der Bau einer völlig neuen Verwaltungshauptstadt bei Kairo für 46 Milliarden Euro. Diese Projekte haben das Wachstum des Landes künstlich angekurbelt. An vielen dieser gewinnbringenden Geschäfte sind auch ägyptische Militärs beteiligt. Eine Politik, die es staatlichen und militärischen Unternehmen erlaubt, die Wirtschaft zu dominieren, schwächt allerdings den Privatsektor. Das hat dazu geführt, dass ausländische Investoren abgeschreckt wurden. Dabei ist das Land immer stärker von ausländischen Krediten abhängig. Ägypten hat Schulden in Höhe von über 138 Milliarden Euro; etwa ein Drittel seines gesamtwirtschaftlichen Einkommens muss es für die Tilgung der Auslandsschulden verwenden. Corona und der Krieg gegen die Ukraine Diese Gemengelage habe Ägypten"an den Rand eines finanziellen und wirtschaftlichen Abgrunds" gebracht, erklärte Rabah Arezki Anfang Januar. Arezki ist ehemaliger Chefökonom der Weltbank und war für den Nahen Osten und Nordafrika zuständig. "Der Grund, warum die Pandemie und der Krieg in der Ukraine so große Auswirkungen hatten, liegt in der Investitionsstrategie, die (Ägyptens Präsident, Anm. d. Red.) al-Sisi neun Jahre lang verfolgt hat: er hat massiv Geld in riesige Projekte gesteckt, von denen einige völlig unnötig oder schlecht durchdacht waren", so Yezid Sayigh, Senior Fellow am Carnegie Middle East Center in Beirut. "Diese Strategie hat die ägyptischen Finanzen sehr verwundbar gemacht, ohne der Wirtschaft echte Vorteile zu bringen." Ausländische Regierungen, darunter auch die von Deutschland und den USA, tragen eine Mitschuld, so Sayigh. Al-Sisi, sagt er, "hätte Ägyptens Schulden ohne die direkte Beteiligung des Auslands nicht um 400 Prozent erhöhen können." Zwei Nationen - nicht vergleichbar Es gibt einige Ähnlichkeiten zwischen Ägypten und dem Libanon - die ägyptische Armutsquote nähert sich beispielsweise der libanesischen an. Mindestens 60 Prozent der Ägypter leben in Armut oder an der Armutsgrenze. "Und dann ist da noch die Bereitschaft der politischen Elite, sich auf Kosten des Staates und der Öffentlichkeit zu bereichern", so Timothy Kaldas, Experte für die politische Wirtschaft Ägyptens und Fellow am Tahrir Institute for Middle East Policy (TIMEP). "Das haben beide Länder definitiv gemeinsam.""Aber trotz einiger Ähnlichkeiten sind Faktoren wie Armut und Korruption zahlreichen arabischen Ländern gemeinsam, so dass man keine einfachen Vergleiche ziehen kann", argumentiert Yezid Sayigh vom Carnegie Institute. "Außerdem ist die ägyptische Regierung nicht so korrupt wie die libanesische.""Trotz aller Probleme befindet sich Ägypten in einer wesentlich stabileren Situation als der Libanon", so Timothy Kaldas von TIMEP weiter. "Es steht nicht am Rande des totalen Zusammenbruchs." Zum einen verfüge die ägyptische Wirtschaft über mehr potenzielle Geldquellen als die libanesische, so Kaldas - etwa über den Suezkanal, die Tourismusbranche und verschiedene Exportindustrien. Der Libanon sei stärker von den Überweisungen von Libanesen im Ausland abhängig, die vor der aktuellen Krise bis zu einem Viertel des libanesischen Nationaleinkommens ausmachten. Außerdem gebe es eine ägyptische Führung, mit der man verhandeln könne, so Kaldas. "Im Libanon hingegen wird immer noch um die Wahl eines neuen Präsidenten gerungen." Der vielleicht größte Unterschied zwischen Ägypten und dem Libanon besteht jedoch darin, dass Ägypten gemeinhin als "zu groß zum Scheitern" angesehen wird. Mit rund 107 Millionen Einwohnern ist es das bevölkerungsreichste Land der Region. Außerdem verfügt es über das stärkste Militär im Nahen Osten. "Ägypten hat das Glück, dass externe Geldgeber Wert auf die Lebensfähigkeit des Staates legen, unabhängig davon, wie schlecht er geführt wird", erklärt Kaldas.   — Timothy E Kaldas (@tekaldas) January 20, 2023     Ägypten hat Reformen versprochen Mitte Dezember genehmigte der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Hilfspaket in Höhe von drei Milliarden US-Dollar für Ägypten. Es ist die dritte derartige Vereinbarung des Landes mit dem IWF seit 2016 und soll Ägypten helfen, mehr Investitionen aus dem Ausland sowie weitere Finanzhilfen anzuziehen. Um das Abkommen abzuschließen, musste die ägyptische Regierung dem IWF mehrere große Zugeständnisse machen. Zu diesen Zugeständnissen gehört die Flexibilisierung des Wechselkurses. Die darauffolgende  rekordverdächtige Abwertung des ägyptischen Pfunds ist unter anderem auf die bisherige Koppelung an den US-Dollar zurückzuführen. Außerdem hatte der IWF gefordert, Ägypten solle bis Ende dieses Monats direkte Geldtransfers an fünf Millionen bedürftige ägyptische Haushalte senden. Weiterhin hat sich Kairo dazu verpflichtet, das riesige Wirtschaftsimperium des ägyptischen Militärs zu begrenzen.  Das neue IWF-Rettungspaket könnte Ägypten wieder vom Abgrund zurückholen, aber es ist schwer zu sagen, ob es wirklich Erleichterung für die leidgeprüften Bürger bringt. Ägypten-Experte Kaldas geht davon aus, dass die Regierung und die Eliten des Landes versuchen werden, ihre Vorteile und ihren Reichtum zu sichern. Gleichzeitig würden sie versuchen, sich um die gegenüber dem IWF zugesicherte Eindämmung der wirtschaftlichen Macht des Militärs zu drücken. Aber selbst, wenn alle Bedingungen des IWF-Pakets erfüllt werden sollten, werde sich das Land nicht so schnell erholen, so Kaldas. "Die Ägypter, die ohnehin schon Probleme haben, werden im kommenden Jahr noch ärmer werden", prognostiziert er. Es sei unwahrscheinlich, dass Ägypten der nächste Libanon werde, schlussfolgerte er, "aber nichts wird die wachsende wirtschaftliche Not der Ägypter im kommenden Jahr verhindern". Cathrin Schaer & Mohammed Farhan © Deutsche Welle 2023

Prozess gegen Mada Masr-Journalistinnen

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Reporterinnen einer der letzten unabhängigen ägyptischen Nachrichtenseiten stehen in Kairo vor Gericht. Beobachter kritisieren den Prozess als politisch motiviert. Aktivisten fordern breitere internationale Unterstützung. Von Cathrin Schaer | Der ägyptische Staat gegen Mada Masr: An diesem Dienstag (07.03.) soll in Kairo der Prozess gegen drei Journalistinnen des Online-Magazins beginnen. Mada Masr ist eine der letzten unabhängigen Nachrichtenseiten und zugleich eines der bekanntesten ägyptischen Magazine: Für seine investigative Berichterstattung ist Mada Masr auch über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. "Wir wissen nicht, was uns erwartet", sagt die Chefredakteurin von Mada Masr, Lina Attalah, vor dem Prozess im Interview mit der Deutschen Welle (DW). Die betroffenen Teammitglieder seien "ruhig und gelassen, zugleich aber auch in Sorge. Noch bevor das Urteil gefallen ist, werden wir von unserer Arbeit in der Redaktion abgehalten", sagt sie. Mada Masr wolle eigentlich nur berichten, gar nicht selbst Gegenstand von Berichterstattung sein - doch dieses Prinzip werde durch den Prozess faktisch verändert. "Dabei wollen wir einfach nur unsere Arbeit machen können." Missliebige Recherche über Korruption Der Fall geht zurück auf den August vergangenen Jahres. Damals hatte Mada Masr eine Geschichte über Korruption in einer ägyptischen politischen Partei ("Zukunft der Nation") veröffentlicht. Die Partei unterstützt den seit 2014 amtierenden Staatschef Präsident Abdel-Fattah al-Sisi.   Three Mada Masr journalists are to face trial in early March on charges of “offense against MPs” from the state-aligned Nation’s Future Party and of “misusing communications channels.” [1/5] pic.twitter.com/aAa7fIlNsV — Mada Masr مدى مصر (@MadaMasr) February 28, 2023   Mitglieder der Partei wären durch "grobes finanzielles Fehlverhalten" in einen staatlichen Korruptionsfall verwickelt, hieß es in dem damals veröffentlichten Text. Parteimitglieder und -anhänger legten daraufhin Hunderte von Beschwerden ein. Daraufhin luden ägyptische Staatsanwälte die vier Journalistinnen von Mada Masr zum Verhör.   Attalah und drei der Autorinnen des Artikels - Rana Mamdouh, Sara Seif Eddin und Beesan Kassab - wurden wegen Verleumdung und Diffamierung von Parteimitgliedern angeklagt. Nach einem ersten Verhör wurden die vier Journalistinnen zunächst auf Kaution freigelassen. Kurze Zeit später sah sich Attalah einer weiteren Anklage gegenüber, sie hätte ohne Genehmigung eine Webseite betrieben. Dabei habe sie bereits 2018 einen entsprechenden Antrag gestellt, jedoch nie eine Antwort von den zuständigen Behörden erhalten, so Attalah. Das ägyptische Gesetz sieht vor, dass die Regulierungsbehörden einen Antragsteller kontaktieren müssen, wenn seine Lizenz abgelehnt wird. Reporter ohne Grenzen besorgt "Al-Sisis Regierung hat keine Mühen gescheut, um Mada Masr zum Schweigen zu bringen", sagt Jonathan Dagher, Leiter der Nahost-Abteilung der Medienrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG), gegenüber der DW. Die Journalistinnen von Mada Masr hätten weder verhört noch verhaftet werden dürfen, so Dagher. "Und sie sollten nicht dafür angeklagt werden, dass sie ihre Arbeit machen, die Öffentlichkeit zu informieren." Die Organisation sei äußerst besorgt, wie der Prozess in der nächsten Woche ausgeht, sagt Dagher. Sollten die Journalistinnen für schuldig befunden werden, könnten sie im schlimmsten Fall zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe von bis zu 300.000 ägyptischen Pfund (knapp 9200 Euro) verurteilt werden. "Prozesse gegen Journalisten in Ägypten entsprechen in der Regel nicht den internationalen Justizstandards ", betont Dagher. "Deshalb sitzen derzeit 25 Journalisten in Ägypten hinter Gittern. Mehrere von ihnen wurden in politisierten Prozessen verurteilt und später wegen lächerlicher Anschuldigungen für schuldig befunden." Im jährlichen Index von Reporter ohne Grenzen über Pressefreiheit steht Ägypten derzeit nur auf Platz 168 - von 180 Plätzen insgesamt.     Praktisch alle Medien stünden unter direkter Kontrolle des Staates, der Geheimdienste oder einer Handvoll millionenschwerer und einflussreicher Geschäftsleute mit Verbindungen zur politischen Elite, heißt es in einem Dossier der Organisation zu Ägypten aus dem Jahr 2022. "Unabhängige Medien werden zensiert und von Staatsanwälten ins Visier genommen. Medien, die sich weigern, sich der Zensur zu unterwerfen, werden blockiert, wie im Fall der unabhängigen Nachrichtenseite Mada Masr, die seit 2017 in Ägypten nicht mehr zugänglich ist." Nur jenseits der Landesgrenzen ist die Seite abrufbar. Allerdings sind Beträge von Mada Masr in Ägypten trotz der Sperrung teils über andere Kanäle und soziale Medien abrufbar. In Ägypten ist das Magazin auch mit Hilfe von spezieller Anti-Zensur-Software erreichbar. Menschenrechtler in Haft  Der Prozess gegen Mada Masr sei nur das jüngste Beispiel für gerichtliche Schikane, sagte Hossam Baghat, Exekutivdirektor der Menschenrechtsorganisation "Egyptian Initiative for Personal Rights“ (EIPR). Der Aktivist und Journalist weiß, wovon er spricht: Er selbst wurde auf Grundlage der gleichen Gesetze verfolgt, die die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen Mada Masr bemüht. Seit 2016 ist es Baghat untersagt, das Land zu verlassen. EIPR selbst sehe sich derzeit drei Strafverfahren gegenüber, so Baghat. Die Menschenrechtslage in Ägypten verschlechte sich unterdessen weiter, sagt Baghat. Dies sei auch eine Folge der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP27) vom November letzten Jahres. Während der Klimakonferenz im ägyptischen Urlaubsort Sharm El-Sheikh hatten europäische Diplomaten bessere Menschenrechte und größere Pressefreiheit in Ägypten gefordert. Während der Konferenz trat einer der bekanntesten Aktivisten des Landes, Alaa Abdel-Fattah, in den Hungerstreik. Hoffnungen auf seine Freilassung wurden jedoch enttäuscht: Abdel-Fattah blieb in Haft. Engagement und internationaler Druck reichten nicht aus, um seine Freilassung zu bewirken. Die Regierungen weltweit hätten mehr tun können, um Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben, damit sie ihn freilässt", sagte Dagher von Reporter ohne Grenzen. "Wir sind enttäuscht, dass die internationale Gemeinschaft nicht alles getan hat, um seine Freilassung zu erreichen." Insgesamt habe sich Situation nach der COP27 sogar noch verschlechtert, sagt Baghat. "Mehr Menschen werden verhaftet, mehr Webseiten blockiert, und es gibt jetzt auch noch mehr juristische Schikanen", so Baghat. Bereits zuvor waren auch Blogger verhaftet worden. Deutschland könnte mehr tun Auch deutsche Regierungsvertreter, die an der COP27 teilnahmen, hatten sich seinerzeit kritisch zur Menschenrechtslage in Ägypten geäußert. Im vergangenen Dezember ernannte das deutsche Auswärtige Amt Lina Attalah zudem zu einer der Preisträgerinnen des Deutsch-Französischen Menschenrechtspreises 2022. Die ägyptische Regierung hat Deutschland deshalb Einmischung in die inneren Angelegenheiten vorgeworfen. Im vergangenen Monat erhielt Luise Amtsberg, die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, seitens Ägypten die Mitteilung, dass ihr kein Visum für einen geplanten Besuch in dem Land erteilt werde. "Deutschland nimmt das alles hin", klagt Baghat. Dabei ist Deutschland der zweitgrößte Handelspartner Ägyptens in Europa mit einem Handelsvolumen von rund fünf Milliarden Euro, Tendenz steigend. Zudem existieren viele weitere Beziehungen zwischen den beiden Ländern, unter anderem in Form von Krediten und umfangreichen, wenn auch umstrittenen deutschen Waffenverkäufen. "Die deutsche Regierung könnte sehr viel mehr tun, um gegen Menschenrechtsverletzungen in Ägypten vorzugehen", meint Baghat. Wenn Deutschland zudem Preise wie den Deutsch-Französischen Menschenrechtspreis an die bald vor Gericht stehende Redakteurin Attalah vergebe, stehe es in noch größerer Verantwortung, sich gegen Menschenrechtsverstöße auszusprechen", so Baghat. Wenn das Gerichtsverfahren beginnt, hofft Attalah auf mehr Unterstützung, sowohl lokal als auch international. "Ich wünsche mir einfach, dass jeder, der das Privileg hat, sich äußern zu können, und den nötigen Einfluss, sich gegen einen Prozess ausspricht, der die Pressefreiheit gefährdet", sagte sie. Die DW hat die ägyptischen Behörden um eine offizielle Stellungnahme gebeten, aber bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Antwort erhalten. Cathrin Schaer © Deutsche Welle 2023 Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Die Verschuldung treibt Ägypten in den Ruin

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Für den renommierten Ökonomen Yazid Sayegh liegt die Ursache für die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise in Ägypten in erster Linie in einer Politik der übermäßigen Verschuldung. Es sei außerdem ein Fehler, wie die deutsche und die europäische Politik mit dem Al-Sisi-Regime umgehen. Interview von Mahmoud Hussein | Herr Sayegh, wie blicken der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi und die Armeeführung auf die ägyptische Wirtschaft?  Yazid Sayegh: Verkürzt gesagt gehen Al-Sisi und die Armee von folgender Annahme aus: Je mehr neue Projekte wir ins Leben rufen, desto besser ist das für die Gesamtwirtschaft. Dabei ignorieren sie nicht nur das wechselseitige Verhältnis zwischen Wirtschaft und diesen Projekten, sondern auch die Frage, ob sie die richtigen Prioritäten an der richtigen Stelle setzen und ob diese Vorhaben im wirtschaftlichen Umfeld überhaupt Wirkung zeigen. Sie fragen sich nicht: Setzt ein Projekt einen Prozess in Gang, der neue ökonomische und industrielle Aktivitäten bewirkt? Ein Projekt darf sich nicht darauf beschränken, einfach nur einen neuen Betrieb zu gründen, der in der Lage ist zu produzieren. Vielmehr sollte dieser Betrieb seinerseits weitere wirtschaftliche Aktivitäten auslösen.  Ein wirtschaftlicher Nutzen entsteht erst dann, wenn es zu einer Interaktion zwischen dem konkreten Projekt und weiteren wirtschaftlichen Aktivitäten kommt, die Einzelne oder der Privatsektor aus eigenem Antrieb starten. Es ist natürlich nicht falsch, viele neue Projekte zu starten, denn Wirtschaft und Infrastruktur profitieren davon. Sie kurbeln aber nicht die Realwirtschaft in der verarbeitenden Industrie und im Agrarsektor an.  Aktuell liegt der Fokus der Wirtschaftspolitik in Ägypten auf den Großprojekten, während es keine kleineren Pilotprojekte gibt. Zudem gibt es Vorhaben, bei denen nicht in Form von Machbarkeitsstudien nachgewiesen wurde, ob und in welchem Umfang sie überhaupt nötig sind.  Können Sie diesen Wirtschaftskurs anhand eines Beispiels erläutern?  Sayegh: Wenn Präsident Al-Sisi an einem Vorhaben Gefallen findet, neigt er dazu, dessen Produktionskapazität zu vervielfachen, anstatt in kleinem Rahmen mit einer oder zwei Produktionslinien zu beginnen. Das zeigt das Beispiel einer Fabrik unter dem Namen "Bani Youssef“: Laut Armee wurden lediglich zwei Produktionslinien benötigt. Al-Sisi aber bestand auf sechs Fertigungslinien, was zu einer erheblich ausgeweiteten Produktionskapazität führte, die in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Bedarf des bereits gesättigten Marktes stand. Die Folge war, dass die Streitkräfte den Aufbau einer Fabrik finanzieren mussten, die dauerhaft Verluste machte, da sie das Dreifache des tatsächlichen Bedarfs produzierte. Dieses Beispiel lässt sich auf die ägyptische Volkswirtschaft insgesamt übertragen.  Ägypten droht der Kollaps Wo sehen Sie die Ursache für die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise in Ägypten?  Sayegh: Bevor wir über die Ursache der Krise reden, muss klargestellt werden, dass das Hauptproblem von Ägyptens Wirtschaft in der übereilten Umsetzung von Al-Sisis Großvorhaben liegt, die zugleich auch Propagandazwecken und politischen Zielen dienen: die neue Verwaltungshauptstadt, die Erweiterung des Suez-Kanals und weitere Projekte. Die enormem Kosten dieser Vorhaben stehen in keinem Verhältnis zu ihrem ökonomischen Nutzen und führen zu der hohen Verschuldung Ägyptens im In- und Ausland. Genau hierin liegt das Problem.   Die seit nunmehr einem Jahr in Ägypten bestehende Wirtschafts- und Finanzkrise hat ihre Wurzeln in erster Linie in dieser Politik der übermäßigen Verschuldung, die die ägyptische Realwirtschaft nicht ausgleichen kann. Abgesehen vom Energie-Sektor (Öl und Gas) produziert die ägyptische Wirtschaft heute keinen ausreichenden Mehrwert, der diese Investitionen mit hohem Kapitalbedarf decken könnte.  Es gibt auch Investitionen, die nur einen geringem Kapitalbedarf voraussetzen. Aber sämtliche von Al-Sisi präferierten Investitionen im Bereich Immobilien, bei den neuen und smarten Städten und der neuen Verwaltungshauptstadt benötigen gewaltige Mengen an Kapital, das die ägyptische Wirtschaft selbst nicht selbst aufbringen kann. Dazu kommt, dass der Anteil des ägyptischen Privatsektors an den Investitionen auf dem niedrigsten Stand seit den 1960er Jahren liegt. Präsident Al-Sisi setzt auf neue Großvorhaben und gigantische Immobilienprojekte, die auf Menschen mit hohen Einkommen abzielen und folglich größtmögliche Geldbeträge einbringen sollen. Wäre diese Wette aufgegangen, so hätte sie meines Erachtens zu einer Rendite für den Staatshaushalt und anderen Akteure wie der Armee führen müssen. Damit hätten die Ausgaben gedeckt und Schulden sowie Zinsen getilgt werden können.   Tatsächlich aber waren das Ausmaß der Kapitalbedarfs, die Geschwindigkeit des Vorgehens und die Größe der Vorhaben derart überdimensioniert, dass diese Wette gar nicht aufgehen und die erhoffte Wirkung erzielen konnte. In der Folge wurde die ägyptische Volkswirtschaft anfällig für externe Schocks wie den Ukraine-Krieg oder die Corona-Krise, die starke Erschütterungen hervorgerufen haben und in deren Folge die ägyptische Wirtschaft oder der ägyptische Staatshaushalt nicht mehr in Lage waren, auf die neue Situation zu reagieren. Hier liegt das zentrale Problem und diese Krisen haben sämtliche Schwachstellen des ägyptischen Wirtschaftssystems offengelegt.   "Es gibt kein Geld mehr für all die Großvorhaben" Wann wird das ägyptische Regime seine Wirtschaftspolitik ändern? An welchem Punkt wird eine Kurskorrektur unvermeidlich?  Sayegh: Theoretisch wird die Wirtschafts- und Finanzkrise das Regime effektiv daran hindern, den aktuellen Kurs fortzusetzen, weil es kein Geld für all die Großvorhaben mehr gibt. Es gibt weder US-Dollar noch neue Devisenquellen und tatsächlich könnte das ägyptische Regime an einen Punkt gelangen, an dem es seine ökonomischen Ziele nicht mehr finanzieren kann. Allerdings bezweifle ich, dass das Regime deswegen seine Investitionspolitik grundlegend überdenkt. Denn schon bisher hat es die politischen Folgen dieser Wirtschaftspolitik ignoriert.  Hinzu kommt, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) in der Vergangenheit am Ende immer die Augen vor den Schwächen dieser Wirtschaftspolitik verschlossen hat. Daher gehen Al-Sisi und das militärische Establishment davon aus, dass das Ausland dem ägyptischen Regime auch in Zukunft stets rettend zur Seite springen wird. Hintergrund ist die dort verbreitete Sorge, ein Nichteingreifen könne zum gesellschaftlichen und ökonomischen Zusammenbruch Ägyptens führen und in der Folge zu einer Welle von Hunderten, Tausenden oder gar Millionen von Migranten, die sich auf den Weg nach Europa machen. Durch diese Erpressung werden Europa, der Westen, die USA und selbst die Golfstaaten sich stets gezwungen sehen, im letzten Moment den ägyptischen Haushalt zu refinanzieren.   Diese Annahme könnte sich aber auch als falsch erweisen, denn in den Golfstaaten regt sich zunehmend Unmut über Al-Sisis Wirtschafts- und Investitionspolitik.       Während Europa weiter unterstützt, sinkt in den Golfstaaten offenbar der Rückhalt für das ägyptische Regime. Und zwar trotz der schwierigen ökonomischen Lage. Warum ist das so und wie sehen die Golfstaaten ihre ökonomischen und politischen Beziehungen zum Al-Sisi-Regime?  Sayegh: Ich denke, die Unterstützung aus den Golfstaaten und selbst aus dem Westen wird noch ein paar Jahre weitergehen, trotz des andauernden Gefühls, erpresst zu werden und zur Finanzierung Ägyptens gezwungen zu sein und trotz der Auswirkungen auf die Performance des Regierungssystems, insbesondere im Bereich des Wirtschafts- und Investitionsmodells. Natürlich werden Einwände zum Thema Freiheiten oder Menschenrechte vorgebracht, aber diese stehen für die Geldgeber erst an zehnter oder zwanzigster Stelle.  Europa und die Vereinigten Staaten haben immer die strategische Dimension vor Augen. Sie wollen ein stabiles Ägypten, das Sicherheit und Frieden für Israel und die Gültigkeit des Friedensvertrags mit Israel garantiert. Sie wollen zudem, dass keine Bedrohung für die Sicherheitslage im Nahen Osten entsteht und dazu gehört auch die Sicherheitslage am Golf, was natürlich auch Anliegen der Golfstaaten ist.   Wie lange gleichen die Golfstaaten das Defizit noch aus? Die Golfstaaten benötigen Ägypten als Sicherheitsventil gegenüber Libyen, dem Sudan und zu einem gewissen Grad auch gegenüber dem Roten Meer. Daher werden sie sich weiter erpressen lassen. Al-Sisi setzt auf diese Art von politischer und strategischer Erpressung, so dass die Verbündeten über kurz oder lang gezwungen sein werden, Ägypten aus Angst vor dem Zusammenbruch weiterhin finanziell zu unterstützen.  Aus gesicherten privaten Quellen ist mir bekannt, dass es in einigen verbündeten Golfstaaten und unter den wichtigsten Verbündeten der Al-Sisi-Administration die Ansicht gibt, er habe ihre Unterstützung missbraucht. Diese Art der Unterstützung steht also insgesamt tatsächlich in Frage. Aber es ist schwer vorherzusagen, wann genau die Grenze erreicht ist und welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt.  Die Golfstaaten haben bereits begonnen, weitere Investitionen zu verzögern und sie sind zu weiteren finanziellen Zuwendungen ohne Rechenschaftspflicht nicht mehr bereit. Sie weigern sich, ein Regime mit kostenlosen Gaben zu bedenken, das nicht einmal zu einem Mindestmaß an Veränderung und Reformen bereit ist. Das gilt sogar für den IWF: Bei der jüngsten Einigung auf einen neuen Kredit wurde Ägypten mit drei Milliarden Dollar nur das Minimum gewährt und selbst diese Summe wäre beinahe verweigert worden. Das zeigt, dass der IWF und die hinter ihm stehenden Staaten nicht mehr in der Lage oder nicht mehr bereit sind, dem ägyptischen Regime unbegrenzt und ohne Rechenschaft und Kontrolle finanzielle Unterstützung zu gewähren. Noch bedeutender und kritischer aber ist die Aussage des IWF, dieses einfache Darlehen solle Ägypten in die Lage versetzen, weitere 17 Milliarden Dollar an neuen Krediten von anderen internationalen Geldgebern einzuwerben. Das Problem an dieser Aussage ist, dass das Einwerben dieser Kredite aus dem Ausland offenbar durch die zögerliche Reaktion der Golfstaaten ins Stocken geraten ist. Daher ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Ägypten 17 Milliarden Dollar an neuen neuen Darlehen aus internationalen Quellen oder den Golfstaaten erhalten wird.   In der Krise ist auch Al-Sisi auf Allianzen angewiesen Wie sehen Sie die politische Situation in Ägypten heute? Welche politischen Folgen hat die Wirtschaftskrise?  Sayegh: Das Regime hat nach 2013 sämtliche politischen und gesellschaftlichen Kräfte erfolgreich beseitigt oder marginalisiert, die eine potenzielle Konkurrenz darstellten oder als Verbündete während einer durch die ökonomische Situation bedingten Transformationsphase in Frage gekommen wären.  Jedes Regierungssystem der Welt, das, wie aktuell Ägypten, eine große Krise bewältigen muss, ist auf gesellschaftliche und politische Allianzen angewiesen, um sozialen Frieden und politische Stabilität zu wahren. Das ägyptische Regime aber hat alle möglichen und potenziellen Partner ausgeschaltet.  Im Zuge dessen wurden auch jene Kräfte vernichtet, auf die sich das Regime bei Bedarf als Verbündete hätte stützen können. Das ist ein großes Problem, denn die Unwägbarkeiten eines friedlichen Umbaus der ägyptischen Wirtschaft erfordern vielfältige gesellschaftliche und parteipolitische Akteure und Gremien, die zur Bewältigung dieses Prozesses Koalitionen oder Bündnisse eingehen können, sei es in der Wirtschaft oder im politischen System. Inzwischen gibt es außer den in der reagierenden Allianz vertretenen Kräften - Präsidentschaft, Armeeführung, Innenministerium und einige hochrangige Richter und Staatsbedienstete - keine organisierten und arbeitsfähigen Akteure in Ägypten mehr. Mit wem könnten die Machthaber die Transformation oder das Krisenmanagement auf eine Weise aushandeln, die das Gegenüber in Dialog und Verständigung mit einschließt?  Meines Erachtens steht das politische System Ägyptens dadurch vor einem großen Problem. Das könnte zu Gewalt führen und die Armee könnte sich an einem Punkt wiederfinden, an dem sie diesem Dilemma nur entkommt, indem sie die Macht freiwillig abgibt. Aber an wen? Hier liegt das nächste und meines Erachtens folgenreichste Problem, mit dem Ägypten konfrontiert sein wird. Im Jahr 2011 bestand die Chance, ein neues, demokratisches oder halbdemokratisches Regime zu aufzubauen, durch einen Aushandlungsprozess in einer Koalition, mit einem Bündnis oder mit anderen Kräften, wie es zum Beispiel in Tunesien geschah. Das aber ist im heutigen Ägypten nicht sehr wahrscheinlich.      "Die Rolle Deutschlands ist negativ zu sehen" Welche Rolle spielen Deutschland und Europa bei der Stabilisierung des ägyptischen Regimes?   Sayegh: Die europäische Rolle insgesamt und die Rolle Deutschlands in diesem Zusammenhang sind negativ zu sehen. Deutschland und Europa behindern echte Reformen. Das betrifft nicht nur die Themen Demokratie und Menschenrechte. Auch die Übernahme des positiv konnotierten medialen Narrativs des Al-Sisi-Regimes durch Europa und Deutschland hat Al-Sisi geholfen und ihn darin bestärkt, sein Wirtschafts- und Investitionsmodell exzessiv voranzutreiben. Dabei geht es nicht nur um sein undemokratisches, despotisches und repressives Vorgehen, sondern auch um eine Wirtschaftspolitik, die in absolutem Widerspruch zu den deutschen und europäischen Behauptungen steht, man wolle die freie Marktwirtschaft unterstützen.  Al-Sisi ist gerade dabei, den ägyptischen Staatskapitalismus neu zu erfinden und die Wirtschaft zu verstaatlichen, und zwar mit voller Unterstützung und mit dem Wissen der deutschen und europäischen Politik, auf der Ebene von EU-Kommission und EU genauso wie bei den einzelnen Regierungen, allen voran Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien.   Wenn ich mich gelegentlich mit europäischen Geschäftsleuten, Diplomaten oder Regierungsexperten unterhalte, dann teilen sie hinter den Kulissen meine Sicht auf Al-Sisis Wirtschafts- und Investitionsmodell. Sie sind jedoch aus politischen Gründen nicht bereit, eine Politik auf Basis ihrer tatsächlichen Überzeugungen zu verfolgen. Stattdessen reden sie von dem demokratischen Weg, auf dem Al-Sisi sich befinde, und von Wirtschaftsreformen. Sie loben das ägyptische Wirtschaftswachstum, obwohl sie genau wissen, dass die Realwirtschaft in verarbeitender Industrie, Agrar- und Dienstleistungssektor nur eine sehr niedrige Produktivität aufweist und es dort nur sehr geringe Investitionen gibt. Sie kennen diese Tatsachen alle, setzen aber ihren rhetorischen Diskurs fort und rufen weiterhin westliche Investoren dazu auf, in Ägypten zu investieren.    Interview: Mahmoud Hussein  © Qantara.de 2023   Übersetzung aus dem Arabischen: Daniel Falk Yazid Sayegh ist Ökonom am Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center in Beirut.

Machtkampf der Generäle

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Armee und RSF-Milizen kämpfen um die Macht, während die Zivilbevölkerung hilflos zuschauen muss. So lassen sich die blutigen Ereignisse im Sudan der letzten Tage in einem Satz zusammenfassen. Es handelt sich also nicht um einen Bürgerkrieg. Eine Analyse von Karim El-Gawhary  | Das sudanesische Militär und die Milizen der Rapid Support Forces (RSF) kämpfen um die Alleinherrschaft in Khartum. Seit dem Militärputsch im Oktober 2021, der den eigentlich 2019 vereinbarten Übergangsprozess zu einer zivilen Regierung jäh unterbrochen hatte, rumorte es unter den Machthabern mit den Waffen.  Das Militär unter der Führung von General Abdel Fatah Burhan und die sogenannten RSF, die Rapid Support Forces, verband eine unbehagliche Allianz.   Die RSF sind hervorgegangen aus den berüchtigten arabischen Janjaweed-Reitermilizen, die ab 2003 mordend, brandschatzend und vergewaltigend durch die Dörfer der westsudanesischen Region Darfur gezogen waren und dort im Namen des Regimes von Omar al-Bashir Rebellen bekämpften. Diese RSF-Milizen werden von Muhammad Hamdan Dagalo angeführt, besser bekannt unter seinem nom de guerre Hemedti. Ausgelöst wurden die aktuellen Kampfhandlungen rund um die Frage, ob und wie die RSF-Truppen in die Armee integriert werden sollten und wer das Oberkommando bekommt, Burhan oder Hemedti.  Beide Parteien sind längst diskreditiert Die Lage ist nicht nur in Khartum unübersichtlich, sondern auch in anderen Teilen des Landes, in denen ebenfalls gekämpft wird. Einige Berichte sprechen davon, dass die Armee, vor allem durch den Einsatz der Luftwaffe, die Stellungen der RSF bombardiert, langsam die Oberhand gewinnen würde. Doch diese Einschätzung ist mit Vorsicht zu genießen. Es gibt kaum unabhängige Beobachter und beide Seiten posaunen seit Beginn der Kampfhandlungen Erfolgsmeldungen heraus. Währenddessen sitzt die Zivilbevölkerung voller Angst in ihren Häusern und wartet ab, wie dieser Machtkampf auf der Straße ausgehen wird.  Wer immer aus diesem Kampf siegreich hervorgeht, in der Zivilbevölkerung sind längst beide Parteien diskreditiert. Die sudanesische Zivilgesellschaft demonstriert seit dem Sturz von Langzeitdiktator Omar El-Baschir im Jahr 2019 beharrlich dafür, dass die Macht einer zivilen Regierung übergeben wird. Kurzzeitig sah es sogar so aus, als ob Armee und RSF-Milizen tatsächlich bereit wären, freiwillig ihre Macht abzugeben, als sie im Juli 2019 ein Übergangsabkommen unterschrieben hatten. Es enthielt die Vereinbarung, dass sie nach 39 Monaten ihre Macht einer zivilen Regierung übergeben werden, bevor es dann demokratische Wahlen geben sollte.   Doch dieser Prozess und dieses Abkommen waren mit dem Putsch im Oktober 2021 hinfällig. Seitdem gab es von Seiten der Militärs immer wieder Lippenbekenntnisse, man wolle die Macht an die Zivilisten abgeben. Stattdessen kämpfen jetzt die zwei militärischen Flügel des Putsches darum, wer allein regiert.  Eine demokratische Entwicklung im Sudan verhindern Derweil hat dieser Konflikt auch viele auswärtige Akteure, meist aus den anderen, autokratisch regierten arabischen Ländern der Region. Sie mischen seit dem Sturz Baschirs im Sudan mit dem Ziel mit, eine zivile und später demokratisch gewählte Regierung zu verhindern. Ein demokratisches Modell im Sudan soll auf jeden Fall sabotiert werden, weil sie Angst haben, es könnte auch in anderen arabischen Ländern Schule machen. Dabei werden unterschiedliche Flügel des Putsches unterstützt.    SRSG @volkerperthes is extremely disappointed that the Humanitarian cessation of hostilities that the Sudanese Armed Forces &the Rapid Support Forces had committed to, was only partially honored yesterday, noting that clashes intensified this morning!https://t.co/IWu6rDu0nK pic.twitter.com/vPlhK0gP1z— UN Integrated Transition Assistance Mission Sudan (@UNITAMS) April 17, 2023     Ägypten und sein einstiger Militärchef und heutiger Autokrat, Abdel Fattah El-Sisi, hat sich hinter Sudans reguläre Armee und General Burhan gestellt und versucht über ihn, Einfluss auf den Sudan zu nehmen. Es wurde sogar in den letzten Tagen eine ägyptische Armee-Einheit auf dem Militär-Flughafen Merowe, nördlich von Khartum, von den RSF-Milizen festgenommen. Die Einheit soll angeblich das sudanesische Militär dort geschult haben.  Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen dagegen die RSF-Milizen und deren Anführer Hemedti und versuchen, mit ihm sicherzustellen, dass es keinen demokratischen Prozess im Sudan gibt. Hemedti hat seine Milizen auch immer wieder als Söldner in den Konflikten in Libyen und im Jemen vermietet, bezahlt von den Emiraten.  Zu dieser komplexen Gemengelage kommen noch russische Wagner-Söldner, die die von den RSF-Milizen kontrollierten Goldminen bewachen. Das Gold geht an Russland und die Milizen verdienen damit Millionen.  Der heutige Konflikt im Sudan hat also viele Köche, die natürlich jetzt alle nervös sind, dass er vollkommen außer Kontrolle gerät. Das ist ein Grund, warum Ägypten und die Emirate jetzt an einem Strang ziehen, um die Kampfhandlungen zu beenden. Leidtragende von alledem ist die Zivilbevölkerung, die all diese Militär-Parasiten endlich los haben will. In diesen blutigen Tagen kann sie aber nicht anderes tun, als den Kopf einziehen.  Karim El-Gawhary © Qantara.de 2023

"Sie sind gierig und haben ein großes Ego" 

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Im Sudan kämpfen zwei Generäle um Macht und Pfründe. Mit ihnen kann es keine Demokratie geben, sagt eine Aktivistin in Khartum: Dafür müssten Frauen in die Politik. Ein Interview von Andrea Backhaus  | Die schweren Gefechte im Sudan zwischen der Armee unter Abdel Fattah al-Burhan und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, halten an. Die sudanesische Frauenrechtlerin und Demokratieaktivistin Hala al-Karib berichtet aus Khartum, wie die Zivilbevölkerung in den Städten darunter leidet. Sie ärgert die Doppelmoral der internationalen Gemeinschaft, die die sudanesischen Frauen während der Revolution bejubelt hat – und den Sudan danach den Generälen überließ. Al-Karib ist Regionaldirektorin der Strategischen Initiative für Frauen am Horn von Afrika (SIHA).  Frau al-Karib, wie ist die Situation in Khartum?  Hala al-Karib: Die Lage ist sehr düster. Überall in der Stadt kommt schwere Artillerie zum Einsatz, um unsere Häuser herum hören wir Schüsse und Kampfflieger, die verschiedene Stadtteile bombardieren. Die Kämpfer der RSF plündern Läden, brechen in Häuser ein und terrorisieren die Bewohner. Auch hören wir von Fällen sexueller Gewalt. Wir wissen nicht, was passieren wird, es herrscht große Unsicherheit.  Wie geht es Ihnen? Al-Karib: Ich fühle mich zwar nicht sicher, aber es geht mir gut im Vergleich zu vielen meiner Landsleute. Ich habe ein Dach über dem Kopf und genug zu essen. In Khartum leben etwa acht Millionen Menschen. Die Mehrheit von ihnen ist auf die informelle Wirtschaft angewiesen, sie sind Tagelöhner, arbeiten im Transportwesen oder verkaufen eigene Produkte auf dem Markt. Das bedeutet, dass sie ihre Häuser verlassen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und Essen auf den Tisch zu bringen. Jetzt sitzen die Menschen in ihren Häusern fest, weil es draußen zu gefährlich ist, und damit verlieren sie ihr Einkommen. Auch die Menschen in der Region Darfur haben in den vergangenen Tagen Terror erlebt. Etliche Geschäfte wurden geplündert und viele Menschen verschanzen sich in Moscheen. Für die Sudanesen ist es gerade eine sehr schwierige Zeit.  "Viele Menschen sind verzweifelt" Wie ist die Versorgungslage?  Al-Karib: Schlecht. Fast alle Ladenbesitzer haben ihre Geschäfte geschlossen, weil sie Plünderungen befürchten. Nahezu alle Bäckereien sind zu, wegen der Plünderungen, aber auch, weil der Strom immer wieder ausfällt. Das ist ein großes Problem, denn die Menschen sind auf Brot angewiesen. In vielen Teilen von Khartum gibt es kaum noch fließendes Wasser. Es gibt keine sicheren Wege durch die Stadt. Es heißt immer wieder, die Konfliktparteien würden sich für eine Feuerpause einsetzen, aber wir sehen davon nichts. Viele Menschen sind verzweifelt und überlegen, ob sie fliehen sollen.  Haben Sie einen solchen Gewaltausbruch zwischen der Armee und den Paramilitärs erwartet?  Al-Karib: Die wachsende Spannung zwischen den beiden Gruppen war zuletzt nicht zu übersehen. Ich war in den vergangenen Jahren sehr kritisch, was den politischen Prozess anging, und so wie mir ging es vielen sudanesischen Demokratieaktivisten. Wir denken, dass die internationale Gemeinschaft sehr naiv war, zu glauben, mit den beiden Generälen könnte es so etwas wie Demokratie im Sudan geben.  Inwiefern ist das eine naive Annahme?  Al-Karib: Die Konflikte zwischen der Armee und den paramilitärischen Kräften sind in den vergangenen Monaten immer mehr zutage getreten. Zudem hat ein so wichtiges Land wie Ägypten das Gefühl, vom politischen Prozess im Sudan ausgeschlossen zu sein. Man muss verstehen, welche Interessen die beiden Konfliktparteien und ihre Unterstützer im Land verfolgen. Seit der Unabhängigkeit des Südsudan 2011 wurde nur wenig in den Aufbau des Sudan investiert, das Engagement blieb oberflächlich, trotz der vielen Gräueltaten, die im Land verübt wurden. Die Welt hat den Sudan den Generälen überlassen, die kein Interesse am Regieren haben, sondern nur damit beschäftigt sind, sich an den Ressourcen des Landes zu bereichern.  "Sie haben ein System geschaffen, dass sie bei allem schützt"  Wie haben die Männer das Land bisher geführt?  Al-Karib: Sie haben Kontrolle ausgeübt und die Menschen terrorisiert. Al-Burhan und Daglo haben die staatlichen Institutionen so ausgerichtet, dass sie ihre jeweils eigenen Interessen wahren. Sie haben ein System geschaffen, dass sie bei allem, was sie tun, schützt. Die internationale Gemeinschaft hat das hingenommen und geglaubt, sie könnten die beiden Generäle mit der Zeit schon irgendwie positiv beeinflussen. Die Wahrheit ist aber, dass die internationale Gemeinschaft die Augen vor den Verbrechen beider Seiten verschlossen hat. Das hat die Männer ermutigt, die Gewalt immer weiter eskalieren zu lassen und nun einen solchen egoistischen und unverantwortlichen Konflikt heraufzubeschwören.  Der Sturz von Diktator Omar al-Baschir 2019 führte nicht zur erhofften Demokratisierung. Stattdessen übernahmen Armeechef Al-Burhan und RSF-Anführer Daglo die Kontrolle. Seitdem weigern sich beide Männer, die Macht an eine zivile Regierung zu übertragen. Warum?  Al-Karib: Weil sie gierig sind und ein großes Ego haben. Die Generäle haben im Oktober 2021 einen Militärputsch gegen die Übergangsregierung organisiert, die nach 2019 den Weg zu demokratischen Wahlen bereiten sollte. Mit dem Putsch wollten die Männer den Übergang zur Demokratie untergraben. Die internationale Gemeinschaft hat die Männer dafür nicht zur Verantwortung gezogen, auch nicht für die außergerichtlichen Tötungen, die Zwangsräumungen und die Terrorisierung von Zivilisten, die unter ihrer Führung stattfanden. Es gab zu diesen Vorfällen nicht eine einzige unabhängige Untersuchung seitens internationaler Organisationen.  Al-Burhan und Daglo kontrollieren große Bereiche der Wirtschaft, es geht auch um viel Geld.  Al-Karib: Ja. Sie haben das Wirtschaftssystem so organisiert, dass es vor allem ihren eigenen Zwecken dient. Sie plündern Ressourcen und sind involviert in Geschäfte wie Geldwäsche und illegalen Bergbau. Sie beuten das Land aus.   Es schien ja so, als hätten sich die Konfliktparteien geeinigt. Erst im Dezember hatten Militärführung und politische Parteien dem Übergang zu einer zivilen Regierung zugestimmt. Warum hat das nicht geklappt?  Al-Karib: Al-Burhan stand zuletzt unter enormem Druck, die Armee zu reformieren und die RSF darin einzugliedern. Der Konflikt zwischen beiden Männern ist vor allem deshalb eskaliert, weil Daglo die Eingliederung seiner Kämpfer in die Armee verweigert. Er fürchtet, dass er damit seine Macht verliert.     Sorgen Sie sich bei dem jetzigen Gewaltausbruch um die Frauen im Land?  Al-Karib: Auf jeden Fall. Sowohl die Kämpfer der RSF als auch die Soldaten der Armee sind bekannt dafür, dass sie Frauen und Mädchen Gewalt antun. Sie terrorisieren Frauen und das macht es schwierig für Frauen, sich öffentlich zu äußern und sich aktiv politisch zu beteiligen. In dem jetzigen Chaos fürchten sich die Frauen vor den Auswirkungen des Konflikts. In Khartum sitzen seit Tagen dutzende Studentinnen in ihren Wohnheimen fest. Sie haben die Türen verrammelt, weil sie fürchten, dass Kämpfer reinkommen und ihnen etwas antun könnten. Ihre Furcht ist berechtigt. Sowohl die Milizen als auch die Armeesoldaten haben in der Vergangenheit sehr schwere sexuelle Verbrechen an Frauen und Mädchen begangen. Das könnte sich jetzt wiederholen.   "Frauen haben Baschirs islamistische Partei herausgefordert"  Welche Rolle haben Frauen in den politischen Umbrüchen seit 2019 gespielt?  Al-Karib: Die sudanesischen Frauen waren schon immer maßgeblich an den politischen Veränderungen beteiligt. Sie haben die Revolution angeführt, die zu Baschirs Sturz und zum Ende seiner 30 Jahre währenden Diktatur geführt hat. Sie waren nicht nur Teilnehmerinnen, sondern haben die Proteste aktiv organisiert. Sie haben Baschirs islamistische Partei, die Nationale Kongresspartei (NCP), herausgefordert und den Funktionären klargemacht, dass sie sich nicht mehr an die islamistischen, repressiven Regeln halten werden. Doch auch wenn die Frauen den Widerstand gegen die brutale Unterdrückung anführten, waren sie vom Übergangsprozess größtenteils ausgeschlossen.  Warum?  Al-Karib: Das politische System im Sudan ist noch immer sehr patriarchal geprägt und folgt einer militanten islamistischen Ideologie. Frauen werden nicht als einflussreiche Akteure innerhalb politischer Institutionen anerkannt. In der Zivilgesellschaft hingegen sind die Frauen erfolgreich und gut organisiert. Wir Aktivisten pochen deshalb schon lange darauf, Frauen noch stärker in zivilgesellschaftliche Initiativen einzubinden. Zum Beispiel eben jene jungen Frauen, die die Revolution vorangetrieben haben und hart dafür arbeiten, dass es im Sudan Frieden und Stabilität gibt. In welchen Bereichen werden die sudanesischen Frauen benachteiligt?  Al-Karib: Die sudanesischen Frauen erleben strukturelle Diskriminierung und haben nicht den gleichen Zugang zu Dienstleistungen und Bildung wie Männer. Ihre Appelle, sexuelle Gewalt zu beenden und ein System zu etablieren, das ihnen Zugang zu Bildung und Beschäftigung ermöglicht, werden von den politischen Eliten ignoriert.      Kann es ohne die Einbindung der Frauen überhaupt einen demokratischen Wandel im Sudan geben?  Al-Karib: Nein. Es kann keine Stabilität geben, ohne dass die militärischen und politischen Führer die Rechte der Frauen stärken und verstehen, wie wichtig Kompromisse sind. Im Sudan gelten noch immer Gesetze, die Diktator al-Baschir verabschiedet hat und die Frauen entmenschlichen. Der Sudan ist eines von weltweit vier Ländern, das die UN-Frauenrechtskonvention nicht unterzeichnet hat. Im Sudan kann ein Mädchen im Alter von zehn Jahren zur Ehe weggegeben werden. Wir haben noch immer sehr strenge Vormundschaftsgesetze, die Zwangsheirat und Kinderehen ermöglichen und Gesetze, die eine körperliche Bestrafung von Frauen vorsehen, etwa Steinigung wegen Ehebruch. Für einen echten demokratischen Wandel muss die strukturelle Diskriminierung von Frauen überwunden werden.  Ist das realistisch?  Al-Karib: In der gegenwärtigen Lage ist das nicht einfach. Die politischen Eliten wollen ihre eigenen Privilegien sichern. Demokratie heißt aber, die Macht zu teilen und Diversität zuzulassen. Mich ärgert die Doppelmoral der internationalen Gemeinschaft. Sie hat zwar den Kampfgeist der sudanesischen Frauen während der Revolution bejubelt, sich danach aber wenig dafür eingesetzt, dass sich die Frauen politisch beteiligen können.    Was muss passieren, damit der politische Übergangsprozess wieder in Gang kommt?  Al-Karib: Das wird eine Herausforderung. Weder ein Waffenstillstand noch politische Verhandlungen sind gerade in Sicht. Die RSF ist eine etablierte Miliz, die sich nicht so leicht an den Verhandlungstisch bringen lässt und die Armee kämpft um ihre zukünftige Rolle im Staat. Jetzt muss erst einmal geklärt werden, wie die Zivilisten geschützt werden können. Dann sollte beiden Konfliktparteien vermittelt werden, dass ihre Vergehen an der Zivilbevölkerung international geächtet und strafrechtlich verfolgt werden. Ohne die Aufarbeitung der Verbrechen beider Seiten kann es keinen Frieden geben.  Das Interview führte Andrea Backhaus. © Zeit Online 2023

"Wir sollten die sudanesischen Generäle wie Kriegsverbrecher behandeln"

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Vertreter der sudanesischen Zivilgesellschaft haben einen verhängnisvollen Fehler begangen, als sie sich auf eine Machtteilung mit dem Militär einließen. Sie tragen durch ihr Vertrauen in seine Versprechen eine Mitverantwortung für die aktuelle Situation, meint der politische Analyst Ali Anouzla in seinem Kommentar.   | Seit knapp zwei Wochen liefern sich die beiden sudanesischen Generäle Abdel Fattah al-Burhan und sein ehemaliger Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, einen brutalen und unbarmherzigen Kampf um die Macht und nehmen dabei zahlreiche Tote, Vertreibung und Zerstörung in Kauf. Noch immer hoffen Akteure im In- und Ausland auf eine politische Lösung in Form einer Machtteilung zwischen den beiden Kontrahenten.  Ein derart aussichtsloser Versuch mag gut gemeint sein. Tatsächlich aber werden so die blutigen Ambitionen der beiden machthungrigen Generäle erst recht befördert. Denn selbst im unwahrscheinlichen Fall einer politischen Lösung käme es lediglich zu einer neuen Waffenruhe und nach einer kurzen Erholungspause wäre ein Wiederaufflammen des Konflikts vorprogrammiert. Die blutigen Ereignisse der vergangenen Tage haben die autoritären Bestrebungen der beiden Generäle ans Tageslicht gebracht. Es wird nur schwer möglich sein, ihren verlogenen Zusagen in Zukunft noch Glauben zu schenken.  [embed:render:embedded:node:49899] Aber waren die Verluste an Menschenleben und die Zerstörung von Flughäfen und Krankenhäusern wirklich nötig? Das Töten von Hunderten und die Vertreibung von Hunderttausenden? Der drohende Bürgerkrieg und die damit sicherlich einhergehende Zersplitterung des Sudan in rivalisierende Kleinstaaten, wie in Libyen und im Jemen oder - Gott bewahre - gar das Szenario eines zweiten Somalia?  Naives Vertrauen in die Versprechen der Armee Die Antwort darauf war schon vier Jahren vor Ausbruch dieses wahnsinnigen Krieges bekannt. Nach dem Sturz von Diktator Omar al-Bashir durch die Volksrevolution vertrauten die zivilen Oppositionskräfte den Versprechen der Armee, die ihren Kopf hingehalten hatte, um das Regime selbst zu erhalten. Schon damals gab es zahlreiche Warnungen vor zu viel Vertrauen in das Militär. Viele zweifelten von Anfang an daran, dass es eine Machtteilung mit zivilen Politikern auf Dauer hinnehmen würde.  Schon die vom Militär vorgeschlagene dreijährige demokratische Übergangsphase vor der Machtübergabe an eine zivile Regierung war ein Indiz für seine unredliche Absichten. Eine derart lange Übergangszeit angesichts der Fülle an zu bewältigenden Aufgaben deutete aufarglistige Hintergedanken. Diese traten nach dem Putsch vom Oktober 2021 offen zutage - ein Jahr vor Ablauf der Übergangsphase.  Aber noch immer haben viele die Lektion nicht gelernt und wieder unternahmen die Militärs Versuche, die demokratische Übergangszeit um zwei weitere Jahre zu verlängern. Schon allein die Verhandlungen darüber dauerten 19 Monate lang. Als das "politische Abkommen“ schließlich vereinbart war, kam es innerhalb der Armee selbst zu Konflikten, die in dem brutalen Krieg dieser Tage mündeten.     Zu viele Zugeständnisse an das Militär Kann man jetzt noch Vertrauen in eine Institution haben, deren Geschichte seit ihrer Gründung von Blutvergießen und Umstürzen geprägt war? Kann man sich allen Ernstes auf zwei Generäle verlassen, die erst gegen Omar al-Bashir putschten und dann gegen ihre zivilen Regierungspartner? Heute putschen sie gegeneinander und gegen das Volk, das zum Spielball ihrer persönlichen Interessen und autoritären Ambitionen geworden ist!  Als sich die zivilen Politiker auf dem Höhepunkt der Volksrevolution mit dem Militär zusammensetzten, begingen sie eine Reihe von verhängnisvollen Fehlern: Sie machten Zugeständnis über Zugeständnis und zeigten blindes Vertrauen in die Versprechen der Armeeführung. Sie schlossen einen heiklen Pakt zur Teilung der Macht und stimmten schließlich einer Verlängerung der Übergangsphase zu, was einige von ihnen sogar verteidigten.  Alle, die sich in die Hände dieser beiden kriminellen Generäle begeben haben, tragen eine Mitverantwortung für die aktuellen Geschehnisse im Sudan. Sie zu unterstützen und ihre Verbrechen vor und nach der Revolution zu ignorieren, kommt nicht nur einer Beleidigung der Intelligenz der Sudanesen gleich. Es missachtet auch diejenigen, die in der Revolution von 2019 als Märtyrer ihr Leben ließen, kaltblütig erschossen durch Kugeln der Armee und der Rapid Support Forces (RSF). Unvergessen bleibt auch die Rolle der Vereinten Nationen, die die beiden Generäle durch eine Art politische "Reinwaschung“ als vertrauenswürdige Partner in der Übergangsregierung international hoffähig machten. Regionale Staaten und Großmächte behandelten sie wie respektierte Staatsmänner und kümmerten sich nur um ihre eigenen Interessen im Sudan. Das erklärt auch, warum sie heute aus dem Land fliehen und das in Geiselhaft genommene sudanesische Volk seinem Schicksal überlassen. Zerstört sind alle Hoffnungen auf ein zivil geführtes und demokratisches System in einem Land, das seit seiner Unabhängigkeit vor mehr als sechs Jahrzehnten durch die Willkürherrschaft und Sabotage der Armee bereits viel durchlitten hat.  Wie lange wird der Todestanz der Generäle dauern? Die aktuellen Geschehnisse im Sudan sind ungeheuerlich. Ein angeschlagenes Land geht vor den Augen der Welt in Flammen auf und niemand kann sagen, wie lange der Todestanz der beiden Generäle noch andauern wird. Sie scheinen bis zum äußersten entschlossen und scheren sich nicht um die Rufe nach Waffenstillstand und Zurückhaltung aus Washington, London, Paris und womöglich aus Moskau, Peking, Teheran, Algier, Riad oder Kairo, von zahlreichen Organisationen, der UNO, der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga oder der EU. Auf internationaler Ebene herrscht Konsens darüber, dass die Einheit und Stabilität des Sudan gewahrt werden müssen und mit Ausnahme der beiden am Rande des Wahnsinns agierenden Generäle hat niemand ein Interesse daran, dass das Land weiter im Chaos versinkt.  Die Ambitionen der beiden Kontrahenten sind kaum zu vereinen. Ein langwieriger Bürgerkrieg scheint unausweichlich und bedroht die Stabilität einer ganzen, höchst fragilen Region. Denn, selbst wenn sich der Krieg kurzzeitig wieder beruhigen sollte, so würden die beiden Widersacher ihn bald von neuem anfachen oder ein dritter General würde aus dem militärischen Establishment heraustreten und den Konflikt mit seinem Ehrgeiz neu entfesseln.   Man hätte al-Burhan und Hemedti von Beginn der Volksrevolution an mit aller Härte und Offenheit wie Kriegsverbrecher behandeln sollen. Nach allem, was sie ihrem Land und ihrem Volk angetan haben, gehören sie nicht an die Schalthebel der Macht, sondern ins Kobar-Gefängnis, wo bereits ihr früherer Präsident Omar al-Bashir einsitzt.  Die internationale Gemeinschaft sollte ihren Umgang mit den Kriegsgenerälen des Sudans überdenken und sie so behandeln, wie sie es schon mit den Generälen Myanmars tat. Denn die Verwüstung, das Chaos und die durch al-Burhan und Hemedti verübten Verbrechen gegen ihr Volk und ihr Land sind nicht geringer als das, was jene Generäle in Myanmar angerichtet haben.  Ali Anouzla  © Qantara.de 2023  Aus dem Arabischen übersetzt von Daniel Falk.  Ali Anouzla ist ein marokkanischer Autor und Publizist sowie Chefredakteur der Website "Lakome". Er hat mehrere marokkanische Zeitungen gegründet und redaktionell geleitet. 2014 erhielt er den Preis "Leaders for Democracy" der amerikanischen Organisation POMED (Project on Middle East Democracy).

"Wir müssen einen langen Krieg verhindern"

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Volker Perthes weist Vorwürfe einer Schuld des Westens am Sudan-Konflikt zurück. Im Interview mit Kossivi Tiassou spricht der UN-Sonderbeauftragte auch über die russische Wagner-Gruppe - und die Gefahr durch "Glückssucher". | Herr Perthes, Sie sind vor ein paar Tagen im sudanesischen Seehafen Port Sudan angekommen, von wo aus Menschen versuchen, per Schiff den Kämpfen zu entfliehen. Die Frustration der Zivilisten im Sudan ist groß. Sie wurden bei Ihrer Ankunft von Demonstrationen begrüßt. Welche Botschaft nehmen Sie mit? Volker Perthes: Wir wurden nicht von Demonstranten begrüßt, sondern vom Gouverneur des Red Sea State, also des Bundesstaates, in dem sich Port Sudan befindet. Aber Sie haben Recht: Es gab vor ein paar Tagen eine Demonstration von ungefähr 150 Personen aus einem bestimmten politischen Lager, die sich gegen die Anwesenheit der UN und gegen meine Anwesenheit ausgesprochen haben. Das ist Teil der politischen Auseinandersetzung, die hier im Sudan zwischen sudanesischen Parteien und Kräften stattfindet. In der Hauptstadt Khartum, aber auch in anderen Landesteilen wie Darfur oder Kordofan wird gekämpft. Der amerikanische Geheimdienst rechnet damit, dass der Konflikt sich noch lange hinziehen wird. Ist das auch Ihre Meinung? Perthes: Wir arbeiten als Vereinte Nationen darauf hin, auch mit anderen internationalen Partnern und vor allem mit der sudanesischen Zivilgesellschaft, dass es kein langer Krieg wird. Der erste Schritt muss ein fester Waffenstillstand sein, nicht nur eine Erklärung von Waffenruhen, sondern ein Waffenstillstand mit einem Überwachungsmechanismus. Von da muss es dann einen Schritt geben zu Gesprächen zwischen den kämpfenden Parteien, in der Hoffnung, wieder eine funktionierende Regierung in einer stabileren Situation zu installieren. Der amerikanische Geheimdienst hat seine eigenen Einschätzungen, die werde ich nicht kommentieren. Aber unser Ziel ist, genau das zu verhindern: dass es einen langen Krieg gibt, der das Land an den Abgrund bringen dürfte. Einmischung vieler Akteure Welche Rolle spielen hier die nördlichen Nachbarländer Ägypten und Libyen? Einige Beobachter gehen davon aus, dass der Konflikt ohne Ägypten und den libyschen General Chalifa Haftar nicht gelöst werden kann, zwei Unterstützer der kämpfenden sudanesischen Militärs Abdel Fattah al-Burhan und Mohamed Hamdan Daglo. Perthes: Haftar ist der Unterstützer einer der beiden Parteien, aber er hat keine entscheidende Rolle in diesem Krieg. Richtig ist die Frage nach den Nachbarstaaten - Ägypten, Südsudan, aber auch andere. Für eine feste Lösung, für eine Lösung, die das Land stabilisiert, brauchen wir den Beitrag dieser Nachbarstaaten. Südsudan hat sich bereits sehr aktiv ins Spiel gebracht. Die derzeitige Waffenruhe, die allerdings nicht voll eingehalten wird, ist von Salva Kiir, dem südsudanesischen Präsidenten, verhandelt worden. Auch Ägypten setzt sich für einen Waffenstillstand als ersten Schritt zur Beendigung des Krieges ein. Es gibt auch Spekulationen über die Beteiligung von Söldnern der russischen paramilitärischen Wagner-Gruppe, die im Sudan präsent ist, in dieser Krise. Was wissen Sie darüber? Perthes: Ich habe keine konkreten Anzeichen dafür, dass es eine Beteiligung von Wagner-Söldnern an diesem Krieg gibt. Ich kann das weder bestätigen, noch kann ich sagen, dass es nicht der Fall wäre.   “The current fighting in #Sudan is catastrophic & heartbreaking.” UN Human Rights Chief @Volker_Turk strongly condemns both parties for placing civilians at acute risk & trampling their human rights. Urges leaders to end violence immediately. See full message at Security Council:… pic.twitter.com/ZOAji3ckpR — UN Human Rights (@UNHumanRights) May 3, 2023   "Wir sind hier, um humanitäre Hilfe zu leisten" Die Gewalt hält an - allen Waffenstillstands-Vereinbarungen zum Trotz -, die humanitäre Lage spitzt sich zu. Was kann jetzt konkret getan werden? Perthes: Die Vereinten Nationen sind hier, um unter den beschränkten Möglichkeiten, die wir heute haben, weiter humanitäre Hilfe zu leisten. Das ist schwierig geworden: Die Lagerhäuser des Welternährungsprogramms (WFP) in Darfur sind geplündert worden, mehrere Lastwagen mit Lebensmittelhilfen sind auf dem Weg nach Darfur überfallen und geplündert worden. In Khartum haben wir große Schwierigkeiten, Zugänge zu bekommen, um etwa Krankenhäuser mit Medikamenten auszurüsten. Es gibt ein Schiff der Weltgesundheitsorganisation, das in Port Sudan jetzt angedockt hat, aber wir warten noch auf eine Genehmigung, es überhaupt entladen zu dürfen. Wo wir arbeiten können zurzeit, das ist in den Gebieten, in denen es keine Kämpfe gibt, insbesondere im Osten und im Zentrum des Landes. Da können wir effektiv helfen, sei es mit Gütern, mit Geld für Flüchtlinge, mit Medikamenten, mit der Ausstattung von Krankenhäusern oder mit Chemikalien oder Geräten, um Wasser aufzubereiten und trinkbar zu machen. Die andere Sorge der humanitären Helfer gilt den Flüchtlingen, die teils in schwierigen Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik oder dem Tschad Zuflucht gefunden haben. Wie groß ist jetzt die Gefahr, dass die Region weiter destabilisiert wird? Perthes: Ein Krieg destabilisiert immer, und selbstverständlich ist es so, dass Nachbarstaaten in der einen oder anderen Weise beeinträchtigt sind und beeinflusst sind von einem solchen Krieg. Der eine Aspekt, den haben Sie angesprochen, sind Flüchtlingsbewegungen. Aber wir haben auch Bewegungen in die andere Richtung: Aus den Sahel-Staaten, aus Mali, aus dem Niger, aus dem Tschad kommen, ich will mal sagen, "Glückssucher" und Söldner, und das sind nicht wenige, zur Unterstützung einer der Kriegsparteien, der Rapid Support Forces (RSF), in den Sudan. Das ist keine offizielle Politik dieser Staaten, sondern hier versuchen Menschen im Sudan, Gelegenheiten für sich zu finden, häufig auch einfach nur Gelegenheiten, um zu rauben und sich zu bereichern. Trifft den Westen eine Mitschuld? Einige geben der internationalen Gemeinschaft und insbesondere dem Westen die Schuld an der aktuellen Situation im Sudan wegen der Beziehungen, die westliche Staaten in der Vergangenheit zu den beiden Generälen gepflegt haben. Tragen sie eine Verantwortung für diesen Konflikt? Perthes: Die Verantwortung für diesen Konflikt liegt in erster Linie bei den sudanesischen Militärs, also bei den militärischen Führern beider Seiten und bei den militärischen Institutionen, die hier im Krieg miteinander liegen. Beide Seiten versuchen, internationale Unterstützung zu gewinnen. In meiner Position als Vertreter der Vereinten Nationen kann ich die Politik einzelner Mitgliedsstaaten hier nicht kommentieren, aber mein Rat auch an sudanesische Gesprächspartner ist, die Schuld bei denjenigen zu suchen, die den Krieg führen, und nicht bei ausländischen Akteuren, die in der einen oder anderen Weise versucht haben, Spannungen zu mildern. Ob wir dazu genug getan haben, ob wir es energisch genug getan haben, das ist etwas, was Historiker und Journalisten später sicherlich beurteilen werden. Die Verantwortung liegt bei den sudanesischen Generälen Liegt ein Problem nicht auch darin, dass die Demokratiebewegung im Land zu wenig Unterstützung erhalten hat? Perthes: Wissen Sie, diese Kritik an dem, was die internationalen Organisationen tun, einschließlich der Vereinen Nationen, die in einem Satz sagt, wir haben die Demokratiebewegung nicht genug unterstützt oder wir haben zu stark gepuscht, dass der Sudan nach dem Militärcoup vom 25. Oktober 2021 zurück zu ziviler Regierung und Demokratie führt... diese Kritik bezieht sich auf das gleiche Phänomen, und entweder Sie sagen, die internationalen Organisationen haben zu viel von dem einen gemacht, oder sie haben zu wenig von dem Gleichen gemacht. Ich denke, die internationale Gemeinschaft hat versucht, die sudanesischen Akteure von allen Seiten dabei zu unterstützen, nach dem Militärcoup von 2021 wieder zurück in Richtung Transition zur Demokratie zu finden. Dabei haben wir all die unterstützt, die bereit waren, miteinander zu reden und miteinander eine neue Verhandlungsgrundlage zu finden. Die internationale Gemeinschaft ist ja nicht eine Gemeinschaft, die unbedingt einer Meinung ist. Aber es gibt hier genügend internationale Akteure - die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union, die subregionale Organisation IGAD sowie einige Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen -, die sich aktiv darum bemühen, einen Waffenstillstand herbeizuführen. Teile der sudanesischen Zivilgesellschaft fordern sicherlich eine aktivere Politik im Sinne von afrikanischen oder internationalen Truppen, aber dies braucht auch den notwendigen internationalen Konsens, etwa im Sicherheitsrat, den wir hier sicherlich nicht haben würden. Das Interview führte Kossivi Tiassou. © Deutsche Welle 2023 Volker Perthes ist seit 2021 Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für den Sudan und Leiter der UN-Mission UNITAMS. Zuvor leitete er in Berlin die Stiftung Wissenschaft und Politik und das Deutsche Institut für Internationale Politik und Sicherheit.

"Das Regime muss seine Paranoia überwinden“ 

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Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi sei getrieben von der Angst vor einem neuen Aufstand, sagt die Aktivistin Sanaa Seif. Im Interview spricht sie über den Kampf für die Freilassung ihres Bruders Alaa Abdel Fattah – und warum der Westen mehr Druck machen sollte. Andrea Backhaus hat sie in London getroffen. | Sanaa Seif ist eine der prominentesten Demokratie-Aktivistinnen Ägyptens. Gemeinsam mit ihrem Bruder Alaa Abdel Fattah und ihrer Schwester Mona Seif führte sie 2011 die Protestbewegung an, die Hosni Mubarak stürzte. Seit der Machtübernahme von Abdel Fattah al-Sisi setzen sich Seif und ihre Geschwister gegen die Repressionen des Militärregimes und für einen demokratischen Wandel ein. Dafür zahlen sie einen hohen Preis: Alaa Abdel Fattah sitzt seit zehn Jahren nahezu ununterbrochen im Gefängnis, derzeit im Wadi el-Natrun-Gefängnis im Norden von Kairo. Auch Sanaa Seif war mehrfach in Haft, zuletzt 2021. Gerade ist sie zu Besuch in London, wo ihre Schwester seit einiger Zeit lebt.   Frau Seif, wie geht es Ihrem Bruder?  Sanaa Seif: Es liegen dramatische Monate hinter ihm. Alaa ist im vergangenen Frühjahr in einen Hungerstreik getreten. Im November hat er den Hungerstreik eskaliert, er hat nicht einmal mehr Wasser getrunken. Zu der Zeit kamen in Sharm el-Sheikh internationale Staatsführer zur UN-Klimakonferenz COP27 zusammen. Alaa wollte ein Signal setzen und der Welt klarmachen, dass er die jahrelange Gefangenschaft nicht mehr aushält. Er ist in seiner Zelle zusammengebrochen. Er war bewusstlos und musste wiederbelebt werden. Seitdem nimmt er wieder Nahrung zu sich. Er sieht jetzt wieder gesünder aus und fühlt sich auch besser. Hafterleichterungen nach der Klimakonferenz Wie sind seine Haftbedingungen?   Seif: Seit seinem Zusammenbruch sind sie etwas besser geworden. Alaa ist jetzt in einer Zelle mit einem Fenster, so dass er die Sonne spüren kann. In seiner Zelle steht ein Fernsehbildschirm, er kann Sportsender, Serien und Filme schauen. Wir können ihn einmal im Monat für zwanzig Minuten besuchen, hinter einer Glasscheibe. Die Glasscheibe ist problematisch. Alaas Sohn Khaled, der jetzt 12 Jahre alt ist, ist nonverbal und teilt sich nicht mit Worten mit. Er würde nicht verstehen, warum sein Vater hinter einer Scheibe ist. Alaa hat ihn zuletzt vor zwei Jahren gesehen. Abgesehen davon geht es Alaa besser als vorher. Er darf Bücher und Magazine lesen und ist nach den Jahren der Isolation mehr mit der Welt verbunden. Er weiß natürlich, dass das Regime die Haftbedingungen nicht aus Wohltätigkeit verbessert hat.   Sondern?  Seif: Auf der COP27 habe ich mich ägyptischen zivilgesellschaftlichen Organisationen angeschlossen. Wir haben die internationale Öffentlichkeit genutzt, um über Alaas Zustand und die Menschenrechtsverstöße in Ägypten zu sprechen und viel Aufmerksamkeit bekommen. Klimaschutzgruppen haben große Solidarität mit den politischen Gefangenen gezeigt. Staatsführer wie Olaf Scholz, Rishi Sunak und Emmanuel Macron haben das Sisi-Regime aufgefordert, Alaa freizulassen. Dann ging in Ägypten ein Video viral, das zeigt, wie ein regimenaher Abgeordneter von Sicherheitsleuten aus dem Saal gebracht wird, nachdem er versucht hatte, meine Pressekonferenz zu sabotieren. Das war peinlich für das Regime. Diese plötzliche Aufmerksamkeit für die Menschenrechtslage und meinen Bruder hat die ägyptischen Behörden überrascht. Deswegen behandeln sie ihn jetzt etwas humaner als vorher.   Alaa Abdel Fattah war eine Ikone der ägyptischen Revolution. 2014 wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er ohne Genehmigung demonstriert hatte. Er kam 2019 frei, wurde aber kurz darauf erneut verhaftet und im Dezember 2021 zu weiteren fünf Jahren Haft verurteilt, weil er online einen Beitrag über Menschenrechtsverstöße in ägyptischen Haftanstalten geteilt hatte. Haben Sie eine so harte Strafe erwartet?  Seif: Ich habe diese heftige Eskalation nicht erwartet. Alaa wurde nach seiner Festnahme in einen Hochsicherheitstrakt gebracht und gleich an seinen ersten Tagen dort geschlagen und gefoltert. Er durfte weder Bücher lesen noch eine Uhr tragen, er wusste nicht einmal, welcher Tag und wie spät es war. Das ging mehr als zwei Jahre so, bis sie ihn im vergangenen Jahr ins Wadi el-Natrun-Gefängnis verlegt haben.   Today, Khaled, the son of Egyptian blogger Alaa Abdel Fattah, turns 11 years old. @Alaa should be free and celebrating with his son. Instead, he's been behind bars for and missed all of Khaled's birthdays since he was born except for one.#FreeAlaa #SaveAlaa pic.twitter.com/WOAeDNqCGi— Mai El-Sadany (@maitelsadany) December 6, 2022   Das ganze Vorgehen war unlauter. Es gab kein Gerichtsverfahren, der Richter hat einfach ein Urteil verhängt. Als Alaas Anwalt Mohamed el-Baker Alaa vor der Staatsanwaltschaft verteidigen wollte, wurde auch er verhaftet. Ein solches Ausmaß an Ungerechtigkeit hatte ich nicht erwartet.  Getrieben von der Angst vor einem neuen Volksaufstand Geht es dem Regime darum, mit Ihrem Bruder ein Exempel zu statuieren und andere Kritiker abzuschrecken?  Seif: Wenn man es so formuliert, klingt es, als ob der schreckliche Umgang mit Alaa einer Logik folgt, dabei ist das alles völlig irrational. Es geht dem Regime noch immer um die Revolution von 2011. Der Sturz von Mubarak liegt so lange zurück und die Demokratiebewegung von damals ist besiegt. Aber Al-Sisi kommt nicht darüber hinweg, er ist getrieben von der Angst vor einem neuen Volksaufstand. Deswegen verfolgt er einerseits die Anführer der Muslimbruderschaft, die nach der Revolution kurzzeitig an der Macht waren. Zum anderen dient das harte Vorgehen gegen Alaa und seine Mitstreiter dazu, die säkulare Opposition mundtot zu machen, jene Bürger der Mittelschicht, die Ägypten in eine säkulare Demokratie verwandeln wollten.   Ist die Furcht vor einem neuen Aufstand denn realistisch?   Seif: Nein, zumindest nicht in der Form einer friedlichen Revolution wie 2011. Darauf hatte sich die Graswurzelbewegung jahrelang vorbereitet. Diese Form der Systemkritik gibt es gerade nicht. Die Menschen, die das Regime jetzt kritisieren, tun das aus ihrer Not heraus. Ägypten steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, die Preise explodieren und die Menschen verarmen immer mehr. Hinzu kommt, dass die neue Generation von Aktivisten, die 2019 kleinere Proteste organisiert haben, Alaa gar nicht kennt. Sie sind viel jünger und gehören nicht zu der Gruppe von Leuten, die einst auf dem Tahrir-Platz protestierten. Das Regime muss seine Paranoia überwinden. Es muss sich um dringendere Dinge kümmern, etwa die Wirtschaftskrise und die schlechte Verwaltung der Ressourcen. Sonst könnte es zu Gewalt kommen.  Sie waren dreimal in Haft, zuletzt wurden Sie im Juni 2020 festgenommen. Was war passiert?  Seif: Während der Corona-Pandemie wurden die Gefängnisbesuche ausgesetzt. Alaa konnte uns nur noch über seine Briefe mitteilen, wie es ihm in der Haft ging. Dann wollten die Gefängnisbehörden auch das Briefeschreiben verbieten. Alaa war zu der Zeit schwer gefoltert worden, wir sorgten uns um seine Gesundheit, auch wegen der mangelnden Hygiene im Gefängnis. Wir legten Beschwerde ein, aber ohne Erfolg. Nachdem wir drei Monate lang keinen Brief von Alaa erhalten hatten, entschied meine Mutter eines Tages, zum Gefängnis zu fahren und so lange davor zu warten, bis sie eine Nachricht von Alaa erhalten würde. Meine Schwester und ich stellten uns am nächsten Tag zu ihr. Plötzlich kam eine Gruppe von Frauen auf uns zu, sie prügelten auf uns ein, vor allem auf mich, die Wachen schauten zu. Ich trug schwere Verletzungen davon. Am nächsten Tag wollten wir bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die Schlägerinnen erstatten. Vor dem Gebäude wurde ich von einem Sicherheitsmann abgeführt, er sagte, gegen mich würde ein Haftbefehl vorliegen.   "Ägypten ist ein gescheiterter Staat" Ihnen wurde die Verbreitung von Falschmeldungen und Anstiftung zu terroristischen Straftaten vorgeworfen. Belege konnte das Regime nicht vorlegen, trotzdem mussten Sie bis Dezember 2021 im Gefängnis bleiben. Wie haben Sie die Haftzeit erlebt?  Seif: Sie war härter als vorher. Ich durfte zwar Besuch empfangen, aber ein Beamter saß dabei und zeichnete alle Gespräche auf. Frauengefängnisse sind nicht so schlimm wie Männergefängnisse, wo die Inhaftierten jeden Tag hören müssen, wie Leute gefoltert werden. Aber hin und wieder habe ich gehört, wie Gefangene vor Schmerzen schrien. Sie haben vier, fünf Gefangene in eine Zelle gesteckt, die gerade groß genug für eine Person war. Ich habe mitbekommen, wie Wärter Häftlinge dazu anstachelten, Mitgefangene anzugreifen, vor allem Menschen aus der LGBTQ-Szene.   Präsident Al-Sisi hat Ägypten in einen Polizeistaat verwandelt. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die brutale Unterdrückung. Ihren Berichten zufolge lässt Al-Sisi seine Kritiker überwachen und mit aller Härte bestrafen. Mehr als 60.000 Menschen sollen aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen. Hatte die Demokratiebewegung jemals eine echte Chance?   Seif: Im Rückblick kann ich sagen: Gegen die vielen Widerstände und Rückschläge hatten wir keine Chance. In Ägypten gibt es keine organisierte politische Opposition. Unter einem derart repressiven Regime können liberale und säkulare Politiker nicht viel ausrichten. Und die Handlager des Regimes tun, was von ihnen verlangt wird und halten das System am Laufen. Ein Beispiel: Der Beamte, der im Gefängnis für mich zuständig war und überwachen sollte, mit wem ich worüber sprach, sah mich nicht unbedingt als ernsthafte Bedrohung für die nationale Sicherheit an. Er schrieb diese Berichte über mich, weil er damit beruflich weiterkam und befördert wurde. Diese Beförderung hätte er nicht bekommen, wenn er seine Berichte über IS-Anhänger geschrieben hätte. Ein solches System erzwingt diesen Gehorsam. Trotzdem war die Revolution wichtig. Ohne die Revolution und ihr Scheitern hätten wir nicht gewusst, dass dieser Staat zu keinen Reformen bereit ist. Davor dachten wir, dass sich mit einem veränderten politischen Bewusstsein Institutionen wie Armee und Polizei selbst reformieren könnten. Nun wissen wir, dass Ägypten ein failed state ist.   Es braucht mehr Druck von außen Was kann die ägyptische Zivilgesellschaft noch ausrichten?  Seif: Es ist beeindruckend, dass es noch unabhängige Journalisten, Anwälte und Aktivisten in Ägypten gibt, die trotz der Repressionen weiterarbeiten. Aber das reicht nicht, um ein Land zusammenzuhalten, dazu braucht es eine starke Zivilgesellschaft. Da Al-Sisi sich nicht um Moral, Menschenrechte oder das Wohl der politischen Gefangenen schert, braucht es mehr Druck von Seiten seiner Partner. Leider ist in den vergangenen Jahren das Gegenteil passiert: Die Golfstaaten haben Al-Sisi uneingeschränkte Vollmachten erteilt, Donald Trump hat Al-Sisi sogar als seinen Lieblingsdiktator bezeichnet. Solche Äußerungen waren für Al-Sisi eine Bestätigung, dass er für seine Brutalität keine Konsequenzen fürchten muss. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine macht es noch schwieriger, Al-Sisi zur Verantwortung zu ziehen.   The global climate conference COP27 is underway amidst a human rights crisis in Egypt. Away from Sharm El-Sheikh, 1000s are unjustly jailed in horrid conditions, including Alaa Abdel Fattah, who after 219 days has escalated his hunger strike and stopped drinking water. #SaveAlaa pic.twitter.com/atVf2LzkGQ — Amnesty International USA (@amnestyusa) November 15, 2022   Inwiefern?   Seif: Diktatoren wie Al-Sisi sehen Putin als Vorbild. Solange Putin für seine Verbrechen nicht zur Verantwortung gezogen wird, haben sie nichts zu befürchten. Auch verschieben sich die Abhängigkeiten. Die europäischen Staatsführer wollen nicht mehr auf russische Gasexporte angewiesen sein. Deswegen hat die EU mit Al-Sisi ein Abkommen unterzeichnet, um künftig Gas aus Ägypten zu beziehen. Das bedeutet, dass die Europäer sich mit Kritik an Al-Sisi noch mehr zurückhalten werden. Und die US-Administration befürchtet, dass Al-Sisi sich weiter Russland annähern könnte, weshalb die amerikanischen Politiker Al-Sisi umgarnen, und seine Menschenrechtsverstöße ignorieren. Es ist enttäuschend, dass selbst die Demokraten, die für Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Freiheit stehen, bei Al-Sisi so vorsichtig sind.  Al-Sisis Unterdrückungsapparat schafft Instabilität Auch die Bundesregierung sieht Al-Sisi als Partner, er war in den vergangenen Jahren einer der wichtigsten Abnehmer der deutschen Rüstungsexporte. Macht Sie das wütend?   Seif: Ja. Die Waffenexporte und Wirtschaftsdeals der deutschen Regierung haben Al-Sisis Machtmissbrauch gestärkt und mein Land ärmer gemacht. Die neue Regierung scheint Al-Sisi etwas kritischer zu sehen als die Vorgängerregierung. Unter den Grünen werden restriktivere Gesetze für den Rüstungsexport diskutiert. Auch scheint die deutsche Gesellschaft stärker zu hinterfragen, was Waffenlieferungen an arabische Diktatoren für die Region bedeuten. Ich verstehe nicht, warum ein Land wie Deutschland seine eigenen Interesse nicht stärker vertritt. Al-Sisis Unterdrückungsapparat führt zu großer Instabilität und das wird auch Konsequenzen für Deutschland haben. Immer mehr Ägypter werden nach Europa fliehen, wenn sie in Ägypten keine Perspektive mehr sehen. Die deutschen und europäischen Staatschefs müssen Al-Sisi zu Reformen drängen, sonst ist die nächste Migrationskrise vorprogrammiert. Auch in Tunesien, Syrien und dem Libanon wurden die Hoffnungen auf einen demokratischen Umbruch enttäuscht. Warum konnten sich die Autokraten durchsetzen?  Seif: Für diese Staaten ist es offenbar einfacher, Dinge zu belassen, wie sie sind, statt echte Veränderungen umzusetzen. Ich hoffe, dass sich die autokratischen Systeme eines Tages selbst abschaffen, weil die Menschen verstehen, dass sie eben nicht zu Wohlstand und Stabilität führen. Eine Demokratie kann fragil sein, aber sie ist das beste Regierungsmodell was wir haben. Wir brauchen im Nahen Osten keine ausländischen Interventionen, um Demokratien aufzubauen. Die desaströsen Folgen des US-Einmarsches im Irak sind bis heute sichtbar. Wir müssen unsere innenpolitischen Probleme selbst lösen. Das wird dadurch erschwert, dass westliche Staaten den Autokraten und ihren Unterdrückungsapparaten aktiv in die Hände spielen. Wir brauchen einen sicheren Raum, um die Zivilgesellschaft zu stärken und eine politische Opposition aufzubauen.   Gemeinsam mit Ihrer Mutter und Schwester setzen Sie sich unermüdlich für die Freilassung ihres Bruders ein. Sie organisieren Proteste, sammeln Unterschriften, reisen durch die Welt, um Druck auf Politiker zu machen. Was muss passieren, damit er freikommt?  Seif: Die internationale Gemeinschaft muss mehr Druck auf Al-Sisi ausüben. Der UN-Menschenrechtsrat muss Ägypten zur Priorität machen. Im März 2021 haben 32 Mitgliedstaaten eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie die Menschenrechtskrise in Ägypten klar thematisieren. Wir drängen darauf, dass der Rat eine solche Stellungnahme wiederholt. Nach der letzten Erklärung verabschiedeten die ägyptischen Behörden eine neue Menschenrechtsstrategie, bildeten einen Begnadigungsausschuss und ließen politische Gefangene frei. Diese Maßnahmen sind politische Kosmetik, aber sie zeigen, dass das Regime auf den Druck reagiert.   Ihre Mutter wurde in Großbritannien geboren, Sie und ihre Geschwister haben deshalb neben der ägyptischen auch die britische Staatsbürgerschaft. Welche Verantwortung trägt die britische Regierung?  Seif: Sie trägt eine große Verantwortung für Alaa, der sie aber nicht nachkommt. Die britische Regierung ist völlig inkompetent und seit dem Brexit vor allem auf innenpolitische Themen fokussiert. Dabei könnte sie Einfluss auf Al-Sisi nehmen. Als ich zuletzt in Haft war, erhielt ich Besuch vom britischen Konsul. Danach verbesserten sich meine Haftbedingungen, die Wärter sorgten dafür, dass ich keinen Grund zur Beschwerde hatte. Auch ließen sie meine Mithäftlinge von da an in Ruhe. Deswegen dränge ich darauf, dass der britische Konsul auch Alaa in der Haft besucht. Die ägyptischen Behörden verweigern das bisher, weil sie Alaas doppelte Staatsbürgerschaft nicht anerkennen, auch wenn er beide Pässe hat. Dass die britische Regierung nicht mehr Druck auf die Behörden in Kairo ausübt, ist sehr enttäuschend. Den Briten sind die Wirtschaftsdeals mit Ägypten wichtiger als die eigenen Bürger. Ich hoffe, dass sich Länder wie Deutschland stärker für Alaas Freilassung einsetzen. Meine eigene Regierung tut es nicht.  Das Interview führte Andrea Backhaus. © Qantara.de 2023

Menschenrechte für Ägyptens westliche Partner kein Thema?

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Vor zehn Jahren ergriff das ägyptische Militär mit Abdel Fattah al-Sisi an der Spitze die Macht. Seitdem habe sich die Lage der Bürgerrechte weiter verschlechtert, so Aktivisten - doch im Fokus stehe für den Westen oft anderes. Von Cathrin Schaer | Wenn er wollte, könnte der ägyptische Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi dieser Tage ein Jubiläum der eigenen Art feiern: Zehn Jahre ist der Militärcoup nun her, der ihn ins Amt brachte. Am 3. Juli 2013 entmachtete das ägyptische Militär den demokratisch gewählten, islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi und setzte eine Übergangsregierung ein.  Beim Massaker auf dem Rabeya al Adawiya-Platz in Kairo im August 2013 kamen nach Angaben von Human Rights Watch mindestens 900 Anhänger des gestürzten Präsidenten ums Leben. Der sogenannte Arabische Frühling war endgültig zu Ende. Abdel-Fattah al-Sisi, ranghoher General des allmächtigen ägyptischen Militärs, erklärte den aus den Reihen der islamistischen Muslimbrüder entstammenden Mursi für abgesetzt. Diesem sei es nicht gelungen, einen "nationalen Konsens" zu schaffen, so die Begründung. Allerdings habe das Militär kein Interesse, die politische Macht zu behalten und werde eine Rückkehr zu einer demokratischen Zivilregierung ermöglichen, versprach al-Sisi damals. Ein Jahrzehnt später ist al-Sisi immer noch an der Macht, wenngleich er sich heute als Zivilist präsentiert und zumindest formal auf ein Wählervotum stützen kann. In vielerlei Hinsicht ist die Situation für einfache Ägypter schwieriger denn je. Die Wirtschaft befindet sich in einer Krise. Auslandsschulden, steigende Inflation und eine fast um die Hälfte abgewertete Währung setzen Staat und Bürgern zu. Rund ein Drittel der 105 Millionen Ägypter lebt in Armut. Um seine Auslandsschulden zu finanzieren, verkauft oder vermietet das Land staatliche Vermögenswerte wie die Telefongesellschaft Telecom Egypt, öffentliche Verkehrsmittel oder Häfen.   — Amr Magdi (@ganobi) April 17, 2023     Rigorose Machtsicherung Gleichzeitig hat al-Sisi seine Macht rigoros ausgebaut. Unabhängige Journalisten und regierungskritische Aktivisten wurden schikaniert oder verhaftet. Ein ehemals inhaftierter ägyptischer Aktivist erzählte der investigativen Journalismus-Website Coda Story sogar von Verhaftungen auf offener Straße: Militäroffiziere hielten Menschen auf der Straße an und überprüften deren Telefone. Fänden sie Hinweise, dass die Bürger in den sozialen Medien kritische Beiträge über die ägyptische Regierung oder das Militär gepostet oder auch nur "gelikt“ oder darüber Witze gemacht hätten, würden diese verhaftet Auch die in den USA ansässige Denkfabrik Freedom House stuft Ägypten als "nicht frei" ein. Zwar hat das Land im globalen Ranking des mit Fragen von Demokratie und Menschenrechten befassten Instituts schon länger keinen guten Stand. Doch in den vergangenen Jahren ist Ägypten noch einmal weiter abgerutscht: Kam es im Jahr 2018 immerhin noch auf 26 von 100 Punkten, liegt es in diesem Jahr nur noch bei 18 Punkten. Zum Vergleich: Marokko kommt auf 37 von 100 Punkten, Deutschland auf 94. Die Repression ist enorm. So zählt Ägypten zu den "führenden" Ländern bei der Todesstrafe. Zudem haben neue Gesetze - darunter eines, das Nichtregierungsorganisationen zwingt, sich beim Staat registrieren zu lassen - den zivilgesellschaftlichen Raum und die Medienfreiheit zusätzlich schrumpfen lassen. Plädoyer für einen kritischen Blick Ägyptens Nachbarn und westliche Verbündete verfolgten mit Blick auf diese Probleme einen unausgewogenen Ansatz, monieren Kritiker seit längerem. Während die wirtschaftlichen Probleme des Landes regelmäßig angesprochen würden, finde die sich seit al-Sisis Machtübernahme rapide verschlechternde Menschenrechtslage erheblich weniger Beachtung. Anfang 2022 schrieben über 170 europäische Parlamentarier aus unterschiedlichen Ländern einen Offenen Brief an ihre eigenen Spitzendiplomaten sowie Botschafter beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Darin forderten sie die Einrichtung eines Sondergremiums zur Überwachung der sich verschlechternden Menschenrechtslage in Ägypten. "Wir sind äußerst besorgt über das anhaltende Versäumnis der internationalen Gemeinschaft, sinnvolle Maßnahmen zur Bewältigung der Menschenrechtskrise in Ägypten zu ergreifen", schrieben die Politiker. "Dieses Versäumnis hat zusammen mit der fortgesetzten Unterstützung der ägyptischen Regierung und dem Widerwillen, die weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen anzusprechen, bei den ägyptischen Behörden das Gefühl der Straflosigkeit weiter verstärkt." Im vergangenen Sommer kam Sanaa Seif nach Deutschland. Seif ist die Schwester des Dissidenten Alaa Abdel-Fattah, einem der bekanntesten politischen Gefangenen in der arabischen Welt. In Berlin traf sie Politiker, die sich für die Freilassung ihres Bruders einsetzten. Mit wem sie gesprochen hatte, durfte sie allerdings nicht verraten. Der Besuch mache für sie keinen Sinn, wenn sie sehe, dass deutsche Politiker sich scheuen, über Menschenrechte zu sprechen, resümierte Seif ihre Unterredungen im Gespräch mit der Deutschen Welle (DW). "Es ist so, als wollten die Politiker keine Unruhe entfachen." Vor wenigen Tagen allerdings kritisierte der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestags die Situation der Menschenrechte in Ägypten. Ägyptens Regierung unbeeindruckt Ägyptens Regierung verweist ihrerseits gerne darauf, dass es einige Initiativen im Bereich der Menschenrechte ergriffen habe, etwa die Aufhebung des Ausnahmezustandes im Oktober 2021, die Verabschiedung einer Nationalen Menschenrechtsstrategie im September 2021, die Neueinsetzung eines Nationalen Menschenrechtsrates im Januar 2022 sowie das 2022 ausgerufene "Jahr der Zivilgesellschaft“. Neben Dialogen mit Regierungskritikern habe es auch Begnadigungen von Gefangenen gegeben. Viele Menschenrechtler sehen darin freilich nur ein Feigenblatt und erkennen keine echten Fortschritte. Dass Ägypten sich von in- und ausländischer Kritik an der Menschenrechtslage bislang wenig beeindruckt zeige, gehe auf mehrere Faktoren zurück, meint Timothy Kaldas, stellvertretender Direktor des Tahrir Institute for Middle East Policy. Ein Grund sei die Lage des Landes an der Schnittstelle zwischen Afrika, Asien und Europa. Durch sie sei Ägypten strategisch bedeutsam. Mit seiner großen Bevölkerung und einem gewaltigen Militärapparat gelte Ägypten zudem als gewichtige Regionalmacht. Als solche habe Ägypten auch eine lange Tradition, verschiedene internationale Verbündete zugunsten eigener Interessen geschickt gegeneinander auszuspielen. Ägypten habe es zudem verstanden, bilaterale Beziehungen auf Grundlage großer Waffengeschäfte aufzubauen, so Kaldas. Ein Ende 2022 veröffentlichter französischer Jahresbericht über Waffenverkäufe zeigt, dass Ägypten seit 2012 der größte Importeur von Waffen aus Frankreich ist. Auch für Deutschland ist Ägypten ein bedeutender Waffenkäufer. Das Volumen der Waffenexporte nach Ägypten hat unter al-Sisi zugenommen und das Land zum drittgrößten Waffenimporteur weltweit gemacht. Furcht vor irregulärer Migration Zudem gelte Ägypten ungeachtet des autoritären Vorgehens der Regierung al-Sisi als vergleichsweise stabiles Land in der Region, insbesondere im Vergleich zu Kriegs- und Krisenländern wie Syrien oder Jemen. "Dieser Umstand trägt dazu bei, Überweisungen an den ägyptischen Staat zu rechtfertigen. Sie werden in der Hoffnung getätigt, dass Ägypten weiterhin stabil bleibt." Ein weiterer Faktor sei die demographische Bedeutung des Landes, meint Kaldas: "Ägypten ist ein 100-Millionen-Volk am Mittelmeer." Für ein Europa, das unablässig vom Schreckgespenst der irregulären Migration und möglicher populistisch-politischer Reaktionen der eigenen Bürger darauf heimgesucht wird, sei dies "von erheblicher Bedeutung", meint Kaldas."Das Problem ist, dass die westlichen Staaten oft nicht erkennen, wie kurzsichtig ihr Ansatz ist", sagt Kaldas. "Es geht nicht so sehr darum, dass sie im Gegenzug für ihr Wegschauen bei Menschenrechtsverletzungen Stabilität erhalten. Im Gegenteil, die Menschenrechtsverletzungen tragen direkt zur wirtschaftlichen Instabilität des Landes bei."Ägyptens Wirtschaftskrise beispielsweise gründe vor allem auf dem Umstand, dass al-Sisis Strategie im letzten Jahrzehnt darin bestanden habe, "den ägyptischen Staat rücksichtslos auszuhebeln, um auf diese Weise die Konsolidierung seiner Macht und seines Patronagenetzwerks zu finanzieren".     Versickernde Finanzmittel Wie solche Mechanismen in Ägypten funktionieren, hat auch ein deutscher Experte untersucht. "Vorhandene Mittel fließen nicht in produktive Zukunftsinvestitionen, sondern versickern in ökono­misch fragwürdigen Infrastrukturvorhaben und dienen zumindest indirekt der Finanzierung polizei­staatlicher Repression", schreibt Stephan Roll, Ägypten-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, in einer im Dezember vergangenen Jahres erschienenen Analyse. "Problematisch ist dies nicht nur hinsichtlich der Menschenrechtslage, sondern auch mit Blick auf die langfristige politische Stabilität Ägyptens. Bei einem Kollaps des Landes drohen zu­nehmender Migrationsdruck sowie ein Export terroristischer Gewalt.""Für die Festigung von Präsident al-Sisis Macht spielte diese Entwicklung eine entscheidende Rolle", betont Stephan Roll. "Die Loyalität der Streitkräfte ist die wichtigste Voraussetzung, um eine umfassende polizeistaatliche Repression durchsetzen zu können. Der Präsident war so in der Lage, jegliche politische Opposition im Keim zu ersticken. Zehntausende von politischen Gefangenen und ein für ägyptische Ver­hältnisse dramatischer Anstieg bei Todesurteilen und Hinrichtungen sind Ausdruck dieser Entwicklung." Zur Lösung des Problems haben Roll und Kaldas ähnliche Vorschläge. Es gelte die Zusammenhänge zwischen dem aus dem Ausland nach Ägypten fließenden Geld und den dort verübten Menschenrechtsverletzungen zu erkennen, sagt Kaldas. "Es ist nicht Aufgabe einer externen Macht, Ägypten zu zwingen, eine Demokratie zu werden. Wohl aber ist es ihre Pflicht, die Autokratie nicht weiter zu subventionieren und so dabei zu unterstützen, ihren diktatorischen Charakter zu pflegen." Cathrin Schaer © Deutsche Welle 2023 Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Die Rückkehr der alten Ordnung

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Die arabische Welt ist zu ihrer alten Ordnung zurückgekehrt. Die autokratischen Herrscher sind noch repressiver geworden. Das zeigt sich spätestens bei der Rehabilitierung des verbrecherischen Assad-Regimes. Ein Essay des marokkanischen Publizisten Ali Anouzla  | Zwölf Jahre nach Beginn des "Arabischen Frühlings“ sehen wir heute eine Region Naher Osten und Nordafrika, die geprägt ist von anhaltenden Machtkämpfen und gescheiterten oder vom Scheitern bedrohten Staaten. Dass die arabische Welt zu ihrer alten Ordnung zurückgekehrt ist und ihre Regime noch unnachgiebiger und repressiver über ihre Völker herrschen als je zuvor, zeigte sich spätestens in den Rufen nach einer Rehabilitierung des verbrecherischen Regimes von Baschar al-Assad, das Hundertausende Syrer getötet und Millionen in die Flucht getrieben hat.  Der "Arabische Frühling“ hatte mit der Selbstverbrennung von Mohamed Bouazizi begonnen, einem tragischen Akt höchster Hoffnungslosigkeit. Heute jedoch vermögen ähnliche Taten kaum noch eine Wirkung zu entfalten, wie die jüngsten Ereignisse in Tunesien und Marokko gezeigt haben. Dort zündeten sich zwei Künstler selbst an und starben, ohne dass ihr Protest ein nennenswertes Echo gefunden hätte. Was einst Ausdruck von Wut war und die arabische Öffentlichkeit bewegte, ist zu einer reinen Verzweiflungstat geworden, deren Akteure bedauert und bemitleidet werden. Wie konnte das geschehen?  Der "Arabische Frühling“ hatte Hoffnungen geweckt und wurde als bedeutender Wendepunkt in der Geschichte der Region beschrieben. Aus heutiger Sicht war er jedoch eine historische Katastrophe, die das Leben der Menschen auf den Kopf gestellt und zu Krieg, Konflikten, Umstürzen, Tod und Inhaftierungen geführt hat. Gleichzeitig geht es vielen arabischen Staaten heute schlechter als vorher. Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse sind schwierig, die Staatsverschuldung steigt, einige Länder sind bankrott oder bekommen keine Kredite mehr, ohne sich dem Diktat der internationalen Gläubiger zu beugen. Vielerorts herrscht Instabilität. In vielen Hauptstädten sitzen autokratische Regime an den Schalthebeln der Macht, die Menschen sind verunsichert und die Jugend leidet unter Arbeits- und Perspektivlosigkeit.  Sehnsucht nach Restauration Zu Beginn des "Arabischen Frühlings“ herrschte Hoffnung und die Völker sahen die Zeit gekommen, ihr Schicksal wieder selbst in die Hand zu nehmen. Doch stattdessen wurde ihr Leiden unter Repression und Armut nur verlängert. Wie konnte das geschehen? Was wir heute in mehreren arabischen Staaten sehen, ist das Ergebnis einer Konterrevolution, die seit mehr als einem Jahrzehnt von den Golfstaaten geplant und finanziert und von ihren Komplizen aus den Überresten der gestürzten Regime mit diktatorischer und autokratischer Macht ausgeführt wird. Es begann mit der Militarisierung der Protestbewegungen in Syrien, Libyen und im Jemen, die in zerstörerischen Bürgerkriegen, regionalen und ethnischen Konflikten mündete. Sie verursachten massive Zerstörung, kosteten Hunderttausende das Leben und trieben Millionen von Menschen in die Flucht. Der erste und wichtigste Sieg der Konterrevolution war der Militärputsch von al-Sisi gegen die erste zivile Regierung in der Geschichte Ägyptens. Nach zehn Jahren Militärherrschaft sehen wir heute die katastrophalen Folgen seiner Politik in allen Bereichen und die Ägypter leiden doppelt unter Repression und Armut.     Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr politische Gefangene, eine beispiellose Wirtschaftskrise hat zu einer Erosion des Lebensstandards geführt. Auch in Tunesien, dem Ausgangspunkt des "Arabischen Frühlings“ und dem Land, das sich am längsten der Konterrevolution widersetzen konnte, sehen wir einen Rückfall in die Autokratie unter der Herrschaft eines politisch nicht zurechnungsfähigen Präsidenten, der das Land an den Rand des Abgrunds führt.  Alte Machhaber in neuer Stärke Neben dem Staatsstreich in Ägypten und den Rückschritten in Tunesien haben viele arabische Staaten Tragödien, Kriege, Spaltung, Unruhen, Repressionen und Wirtschaftskrisen erlebt, sodass die Menschen sich heute nach den alten Regimen zurücksehnen. Denn die Regime, die die Protestbewegungen überlebt haben, herrschen heute noch brutaler als zuvor. Die Machthaber, die von ihren Völkern gestürzt wurden, konnten trotz - oder dank - all der Verbrechen, die sie an ihren Völkern begangen haben, in neuer Stärke zurückkehren.   Die arabische Welt ist zu ihrer alten Ordnung zurückgekehrt und die Regime sind noch unnachgiebiger und repressiver gegenüber ihren Landsleuten. Dies zeigt sich spätestens in den Rufen nach Rehabilitierung des verbrecherischen Regimes von Baschar al-Assad, das Millionen Syrer entweder getötet oder in die Flucht getrieben hat.  Die vielen Millionen Menschen, die vor zwölf Jahren in den arabischen Hauptstädten für Freiheit, Würde und Gerechtigkeit auf die Straße gingen, sind noch immer da. Aber ihre Situation und der Zustand ihrer Länder sind heute schlechter als damals. Die korrupten Regime, deren Sturz die Demonstranten damals forderten, sind nach wie vor an der Macht oder sogar noch stärker und autoritärer geworden.  Unter den Menschen herrschen Angst und Verzweiflung. Es gibt kein Vertrauen mehr, keine Träume. Deshalb geht heute niemand mehr auf die Straße, um seiner Wut und Unzufriedenheit über die Situation Ausdruck zu verleihen. So far, the #UAE, #Jordan, #Egypt & #Saudi have undertaken substantive moves to re-engage #Assad's regime in #Syria. All have privately &/or publicly justified this as being driven by a desire to compete w. #Iran, stabilize #Syria, secure refugee returns, end drug flows & more.— Charles Lister (@Charles_Lister) April 13, 2023     Es herrschen Wut und Verzweiflung Deshalb arrangiert man sich mit Korruption und Repression. Die meisten Menschen haben begriffen, dass Regierungen und Herrscher längst ihre Legitimität verwirkt haben. Diese sind sich bewusst, dass die Abneigung gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Armut immer noch da ist. Diese Abneigung gegen die Machthaber wird weiter bestehen, je mehr sich die Lage verschlimmert. Eines Tages wird die Geduld erschöpft sein und die Wütenden und Unzufriedenen werden wieder auf die Straße gehen und die gleichen Forderungen erheben. Sie werden aber aus den gescheiterten Revolutionen ebenso gelernt haben wie aus den Konterrevolutionen, die ihre Träume gestohlen haben. Dies sollte eine Warnung für diejenigen sein, die sich über den Sieg der Konterrevolutionen freuen. Nichts ist für die Ewigkeit.  Überall auf der Welt erleben wir, wie Stabilität und Frieden durch Krisen, Kriege und Konflikte erschüttert werden, mit katastrophalen Folgen für die Weltwirtschaft. Wir sehen die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels in Form von Dürren, Überschwemmungen und der Ausbreitung gefährlicher Epidemien, die die Existenz der Menschheit auf der Erde bedrohen. Vor diesem Hintergrund sind sich selbst die größten Optimisten einig, dass sich die globale Lage in den kommenden Jahren noch verschärfen und verkomplizieren wird. Die arabische Welt ist von diesem tragischen Schicksal nicht ausgenommen.  Ali Anouzla  © Qantara.de 2023  Ali Anouzla ist ein marokkanischer Autor und Journalist sowie Chefredakteur der Website "Lakome". Er hat mehrere marokkanische Zeitungen gegründet und redaktionell geleitet. 2014 erhielt er den Preis "Leaders for Democracy" der amerikanischen Organisation POMED (Project on Middle East Democracy).  Aus dem Arabischen übersetzt von Daniel Falk